Ich habe gerade Max Webers «Wissenschaft als Beruf» gelesen und habe meine Lieblingsstelle gefunden:
«Jeder junge Mann, der sich zum Gelehrten berufen fühlt, muss sich vielmehr klarmachen, dass die Aufgabe, die ihn erwartet, ein Doppelgesicht hat. Er soll qualifiziert sein als Gelehrter nicht nur, sondern auch: als Lehrer. Und beides fällt ganz und gar nicht zusammen. Es kann jemand ein ganz hervorragender Gelehrter und ein geradezu entsetzlich schlechter Lehrer sein.
[…]
Wenn es von einem Dozenten heisst: er ist ein schlechter Lehrer, so ist das für ihn meist das akademische Todesurteil, mag er der allererste Gelehrte der Welt sein. Die Frage aber: ob einer ein guter oder ein schlechter Lehrer ist, wird beantwortet durch die Frequenz, mit der ihn die Herren Studierenden beehren. Nun ist es aber eine Tatsache, dass der Umstand, dass die Studenten einem Lehrer zuströmen, in weitestgehendem Masse von reinen Äusserlichkeiten bestimmt ist: Temperament, sogar Stimmfall -, in einem Grade, wie man es nicht für möglich halten sollte.
[…]
Nun ist es freilich andererseits wahr: die Darlegung wissenschaftlicher Probleme so, dass ein ungeschulter, aber aufnamefähiger Kopf sie versteht, und dass er – was für uns das allein Entscheidende ist – zum selbstständigen Denken darüber gelangt, ist vielleicht die pädagogisch schwierigste Aufgabe von allen. Und – um wieder auf unser Thema zu kommen – eben diese Kunst ist eine persönliche Gabe und fällt mit den wissenschaftlichen Qualitäten eines Gelehrten ganz und dar nicht zusammen. Im Gegensatz zu Frankreich aber haben wir keine Körperschaft der *Unsterblichen“ der Wissenschaft, sondern es sollen unserer Tradition gemäss die Universitäten beiden Anforderungen: der Forschung und der Lehre, gerecht werden. Ob die Fähigkeiten dazu sich aber in einem Menschen zusammenfinden, ist absoluter Zufall.» (Max Weber, 2002, S. 9-10)

Was ist hier nicht alles enthalten 🙂
Hinweise zur Lehrevaluation, das immer gespaltene Verhältnis zwischen Forschung und Lehre an Universitäten und bei der Tätigkeit der Professoren, das Ziel der Lehre als selbstständiges, kritisches Denken, usw. Wenn man sich überlegt, dass dieser Vortrag schon fast 90 Jahre alt ist, dann frage ich mich:
Haben wir in über 90 Jahren nichts hinzugelernt, oder sind die Themen so evident, dass sie sich statisch durch die Universitätsentwicklung hindurchziehen, ohne wirkliche Veränderung hinsichtlich der Kluft zwischen Forschung und Lehre zu erfahren?
Auch der Vergleich zwischen deutschen und amerikanischen Universitäten ist m.E. zum Teil immer noch aktuell.

Wer den Text nachlesen möchte (was ich empfehlen kann 😉 ) kann das offline bei Reclam oder online hier tun.

Übrigens: Eine Erkenntnis Webers: «Zufall spielt in der akademischen Laufbahn eine grosse Rolle.»

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