DGWF – ein Blick zurück

Meine Tagungswoche war mit der GMW noch nicht zuende. Direkt im Anschluss bin ich an die TU Berlin gefahren, um dort die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium eV (DGWF) zu besuchen. Diese fand unter dem Motto „Wissenschaftliche Weiterbildung: Zehn Jahre nach Bologna – Alter Wein in neuen Schläuchen oder Paradigmenwechsel?“ statt.

Mit dieser Tagung habe ich mich zum Teil auf ein neues Terrain bewegt. Während ich an der GMW immer wieder auf „alte“ Bekannte und Themen stiess, die mich schon seit Jahren beschäftigen, waren die Themen der wissenschaftlichen Weiterbildung an einigen Stellen neuer für mich.

Im Rahmen der Tagung habe ich unser neues Angebot Didaktik der universitären Weiterbildung vorgestellt und mit den Teilnehmenden kritisch diskutiert (hier meine Kurzzusammenfassung des Beitrages). Hier bin ich zum ersten Mal auf kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz (in Bezug auf die Organisation und Bedeutung der universitären resp. wissenschaftlichen Weiterbildung) gestossen und war dementsprechend überrascht. Zum einen war es für die Teilnehmenden unverständlich, warum wir überhaupt von einer „Didaktik universitärer Weiterbildung“  sprechen. Im Rahmen der Teilnehmerorientierung wäre dies doch schon implizit mitgedacht. Weiterhin fiel mir in der Reflexion auf, dass wir wohl auf unterschiedlichen Ebenen diskutierten. Es gibt unterschiedliche Sichtweisen, Hochschuldidaktik zu verorten. Während ich in Diskussionen auf die Ansicht traf, Hochschuldidaktik ist Teil wissenschaftlicher Weiterbildung (und damit eine mehr oder weniger spezielle Didaktik der universitären Weiterbildung obsolet wird), sehen wir Hochschuldidaktik und universitäre Weiterbildung stärker als zwei unterschiedliche Bereiche an: Hochschuldidaktik als didaktische Weiterbildung von Personen innerhalb der Universitäten, universitäre Weiterbildung als Weiterbildung von Personen, die schon über einen Studienabschluss verfügen. Und im Rahmen der universitären Weiterbildung sind (im Gegensatz zur Hochschuldidaktik) die Dozierenden nicht immer didaktisch ausgebildet und zum Teil nicht unmittelbar in das Universitätsleben integriert – aus unserer Sicht ein Grund, mit unserem Angebot nicht nur didaktisches Wissen, sondern auch orientierendes Kontextwissen über die Universitäten als Bildungseinrichtung zu erwerben. Klärungsbedarf bestand weiterhin auch im „wording“: während in Deutschland von wissenschaftlicher Weiterbildung die Rede ist, die ein Merkmal von Weiterbildung (Wissenschaftlichkeit) in den Fokus stellt, spricht man in der Schweiz von universitärer Weiterbildung, die eher den Ort in den Fokus bringt. So hatten wir auf unterschiedlichen Ebenen Diskussionsbedarf – bis hin zur Frage, ob nun Portfolioarbeit zu einer Zertifizierung führt oder nicht.

Doch auch andere Vorträge wurden diskutiert. Spannend waren für mich vor allem zwei Vorträge. Direkt vor mir in der Session sprach Dr. Eva Eirmbter-Stolbrink, Universität Trier, über „Die Wahrung wissenschaftlichen Wissens als Merkmal wissenschaftlicher Weiterbildung“. Sie betonte nochmals den grossen Verlust, würde wissenschaftliche Weiterbildung nur aus Marktbedürfnissen heraus geplant und konzipiert. Sie kam von einer Kritik an der Wissensgesellschaft (Wissen führt nicht unbedingt zu Reflexionen) zum Schluss, dass vor allem das ökonomische Paradigma den Diskurs prägt und sich Universitäten (auch im Zuge der Employability im Rahmen von Bologna) dem Anpassen. Die Merkmale des wissenschaftlichen Wissens (z.B. die Frageorientierung und die Suche nach der „Wahrheit“) seien im Rahmen der Ökonomie nicht mehr gefragt. Ihre These:

Mit der politischen Implementierung des Bologna-Prozesses ist die Universität als Ort der Generierung und Distribution wissenschaftlichen Wissens in Frage gestellt. Für die wissenschaftliche Weiterbildung ergibt sich damit das Problem ihrer generellen Möglichkeit: Verlieren die Universitäten ihre Wissenschaftsorientierung zugunsten der Ausbildungsfunktionen, verlieren sie gleichermaßen ihre Chance zur Realisation Wissenschaftlicher Weiterbildung (Quelle: Eirmbter-Stolbrink, Tagungsband)

Sie bezog sich auf Mittelstrass, der sagt, dass im Informationsgehalt Wissen und Meinen ununterscheidbar seien – und fügte hier gleich eine Kritik am Web 2.0 ein, wenn dies als „Wissenschaft“ verstanden wird: Web 2.0 ist  vor allem der Austausch von Meinungen und Befindlichkeiten, und darf nicht gleichgesetzt werden mit Wissenschaft. Wissenschaftliches Wissen ist an der Abstraktheit orientiert und dadurch eine riskante Form des Wissens, das auf Offenheit angelegt ist – im Gegensatz zur Ideologie (siehe Wissensformen nach Walter Bühl, 1984). Im wissenschaftlichen Wissen geht es um die prinzipielle Revidierbarkeit der Elemente des Wissens – hier klingt ganz klar Poppers kritischer Rationalismus an, dem sich die Referentin verpflichtet fühlt.

Wissenschaftliche Weiterbildung hat demnach unter der starken Betonung der Wissenschaftlichkeit die Funktion, Distanz zum Gegenstand zu schaffen und Neugier zu befördern. Aus diesem Grund sollten sich Themen für die wiss. Weiterbildung nur aus der Wissenschaft selbst (und nicht aus Praxis- oder Marktbedürfnissen heraus) generieren  – Wissenschaftliche Weiterbildung wird verstanden als Freiraum für das Denken.

Man kann sich ausmalen, dass dieser Beitrag viel Diskussionen auslöste, vor allem auch um das Verhältnis Universitäten und Fachhochschulen.

Besonders spannend fand ich dabei ihren Hinweis auf Nake und seine These der „Maschinisierung der Kopfarbeit“ (dem ich auch noch nachgehen werde): Dabei gehe es

um die Ãœbertragung geistiger Momente der Arbeit an den Computer (Nake, 1992, S. 81; zitiert nach Schelhowe, 2007, Technologie, Imagination und Lernen, S. 42)

Ein zweiter spannender Beitrag war der Beitrag von PD Dr. Johannes Erdmann, Universität der Künste Berlin zum Thema „Generationsübergreifendes forschendes Lernen im Lehramt-BA“. Hier gestaltet er mit Seniorenstudierenden und Bachelorstudierenden Prozesse des forschendes Lernen in der Lehrerausbildung – und setzt verschiedene Medienformen dafür ein (ein Beispiel für eine Seminarkonzeption findet sich hier). (Anmerkung: Auch hier gibt es kulturelle Unterschiede: während in Deutschland Senorinnen und Senioren an den regulären Studienveranstaltungen teilhaben können, gibt es in der Schweiz extra Veranstaltungen für Senioren). Spannend war für mich vor allem seine Definition des sog. „Neuen Forschenden Lernens“: das „neue“ forschende Lernen intergriert nach Erdmann die Bedingugnen des Netzes und der Medien und generiert so neue Gesprächspartner und Diskursräume – war forschendes Lernen bis dato auf den Seminarkontext beschränkt, wird es nun öffentlich – und eröffnet so neue Möglichkeiten. Mich hat diese „Neuigkeit“ nicht sehr überzeugt, aber man sieht, dass forschende Lernen ist immer noch in aller Munde (siehe auch hier und hier).

Alles in allem bot mir die Tagung vielfältige Reflexionanlässe, sowohl hinsichtlich spannender Themen als auch der Verortung der eigenen Arbeit und Institution – und nicht zuletzt habe ich auch hier ein paar wenige bekannte Gesichter getroffen – ein Gruss an KOMA und nach Potsdam 😉

Noch eine organisatorische Anmerkung zum Schluss: Was der Tagung besser gelang als der GMW, ist die Anregung von Diskussionen in den einzelnen Veranstaltungen. Die Referenten wurden sehr angenehm schon vor der Tagung betreut und sollten ihren Vortrag mit einer Folie mit ein oder zwei Fragen beenden. Diese Fragen dienten dann als Sprung in die Diskussion – und der hat zumindest bei allen Vorträgen, die ich besucht habe, geklappt.

Doch nun geht es ans Verarbeiten der zahlreichen Inputs 🙂

Comments

Hallo Mandy,

vielen Dank für diesen interessanten Ãœberblick. Ich erkenne natürlich eine ganze Reihe von Ãœberschneidungen zu meinen Ãœberlegungen etwa beim forschenden Lernen. Teilen kann ich die Sorge um die mittel- und langfristigen Konsequenzen der Ökonomisierung. Was mögliche Widersprüche zwischen „Web 2.0“ und Wissenschaft angeht, fällt mir af: Da tun sich schon wieder Gräben auf, bilden sich Lager. Ich denke, es ist wirklich eine Aufgabe, genau diese Gräbe zu verhindern, weil sonst beide „Seiten“ keine Entwicklungschancen haben. Ich teile eine ganze Reihe von Kritikpunkten an der Ãœberhöhung von Kontext, Gemeinschaft und Co. Aber die Web 2.0-Community muss sich damit auseinandersetzen und nicht nur stereotyp die vermeintlichen Vorteile (siehe Twitter) wiederholen. Sie muss auch versuchen, sich eine nachhaltige Position in der Wissenschaft zu erobern, und zeigen, dass die heutigen Möglichkeiten digitaler Technologien sehr wohl auch unseren Wissenschaftsbetrieb vorwärts bringen können.

Gabi

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