E-Kompetenz 3.0 | Ein Blick zurück

„E-Kompetenz 3.0 – Neue Herausforderungen für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung“ lautete das Tagungsmotto an der der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz Luzern letzten Freitag und Samstag. In der Ausschreibung zur Tagung war folgendes zu lesen:

Die digitalen Medien prägen soziale Kommunikation in allen Bereichen der Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kunst, Wissenschaft und Bildung. So sprechen wir unter anderen von eBusiness, eGovernment, eHealth, eLearning und dergleichen. In Wirtschaft, Verwaltung und Bildung hängen Effizienz und Erfolg der Organisation immer mehr von der E-Kompetenz der Mitarbeitenden und Dozierenden ab.
Aber welche E-Kompetenzen braucht es, um den Herausforderungen der neuen Technologien und Möglichkeiten gerecht zu werden? Was müssen Mitarbeitende und Dozierende im Umgang mit den neuen Medien wissen und können, um die Forderungen ihrer Arbeit zu erfüllen? Was für ein E-Kompetenzprofil muss man heute haben, um auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben? Welche E-Kompetenzen werden von Arbeitgebern in Zukunft verlangt?

Da versprach der Titel gleich zweierlei – zum einen einen Ausblick und die Klärung der Frage, was es denn mit dem 3.0 auf sich hat, zum anderen einen Austausch mit Hochschuldidaktikern über E-Kompetenz. Also machte ich mich auf den Weg nach Luzern – und staunte nicht schlecht: ich war wohl die einzige Hochschuldidaktikerin im Publikum. Und auch der sonstige E-Learning Kreis der Schweiz war nicht anwesen. Die anderen Teilnehmenden waren zumeist Dozierende aus Fachhochschulen oder der (betrieblichen) Aus- und Weiterbildung.

Die Tagung eröffnete David Krieger mit einem Vortrag «E-Kompetenz 3.0 – ein Kompetenzprofil für Dozierende» . Er entwickelte die E-Kompetenz aus ganz unterschiedlichen Modellen. Zum einen lehnte er Lehrkompetenz an das Wissensmanagement-Modell von Probst et al. an: Im Rahmen der Lehre und der damit zuständigen Aufgaben des Hochschuldozierenden gehe es auch um Wissenserwerb, Wissensentwicklung und -verteilung, -bewahrung, – nutzung und -identifikation. Mir erscheint diese Verbindung auf einen sehr engen Wissensbegriff verkürzt, die Fragen nach der Reflexion und des orientierenden Kontextwissen, das für Lehre auch wichtig ist, blendet man bei Zuhilfenahme dieses Konzepts aus. Dann stellte er ältere Kompetenzmodelle vor, angefangen von Schulmeister bis hin zur Definition von E-Kompetenz der DINI. Doch die spannende Frage, die er stellte, war: Wie sollten Kompetenzen eigentlich verstanden werden, und wer ist eigentlich kompetent? Ist es die Organisation, der Mensch oder die Technik? Zur Klärung dieser Frage zog er die soziologische Akteur-Netzwerk-Theorie zu Rate:

Es gibt weder ein Individuum, noch eine Organisation, noch Technologien, sondern nur mehr oder weniger grosse Akteur-Netzwerke

Dies machte er am Beispiel von John Law fest, der in seinen Notizen zur Akteur-Netzwerk-Theorie schrieb:

Personen sind die, die sie sind, weil sie aus einem strukturierten Netzwerk heterogener Materialien bestehen. Wenn man mir meinen Computer, meine Kollegen, mein Büro, meine Bücher, meinen Schreibtisch, mein Telefon nähme, wäre ich kein Artikel schreibender, Vorlesungen haltender, ‚Wissen‘ produzierender Soziologe mehr, sondern eine andere Person. Ist ein Akteur primär aus dem Grund ein Akteur, weil er oder sie einen Körper bewohnt, der Wissen, Kompetenzen, Werte und vieles mehr beherbergt? Oder ist ein Akteur aus dem Grund ein Akteur, weil er oder sie über einen Satz von Elementen (darunter natürlich auch über einen Körper) verfügt, die sich über ein Netzwerk von somatischen und anderen Materialien erstrecken, die jeden Körper umgeben?

Diese Netzwerke zeichnen sich nun durch Virtualität, Modularität (Fähigkeit, skalierbar zu agieren und multifunktionell zu reagieren), Automatisierung (Delegation von Wissen und Handeln an techn. Akteure, Bsp. Bremssystem im Auto), Variablität (Innovationen durchzusetzen und Selbstorganisation zu fördern) sowie durch Vernetzung aus.

Somit sieht ein E-Kompetenzprofil für Krieger folgendermassen aus:

Profil

Und diese Theorie markiert nach Krieger die Wende zum 3.0: Mit der ANT wird der Dualismus zwischen Natur und Kultur, zwischen Virtualität und Realität aufgebrochen und existiert auch nicht mehr. Man kommt von der bisher eher vorherrschenden Systemtheorie hin zu einer wirklichen Netzwerktheorie.

Hier entzündete sich dann auch die Diskussion, angefangen pber die Qualitätskontrolle von Netzwerken (regelt der Darwinismus) bis hin zur Ethik und der Verbindung Mensch-Maschine (z.B. was ist die menschliche Beziehung, die Stephen Hawking noch eingehen kann, ohne seine Maschinen).

Die Diskussion erdete dann Daniel Stoller-Schai mit seinem Vortrag «Von der Kreide zum Virtuellen Klassenzimmer» (Abstract | Folien). Hier vollzog er einen Ritt durch Unterrichtsmedien und -technologien, vom Sokratischen Dialog bis hin zum Whiteboard. Nicht neu, aber immer wieder wichtig war seine Kernaussage: «Technology follows pedagogy». Spannend war auch seine Analogie vom Pädagogischen Stand- und Spielbein: Zuerst geht es um Lehrprozesse, die Medienfrage ist die zweite.

StandbeinDen Abschluss der Vorträge bildete Christian Grune mit einem hochschuldidaktischen Thema: «Digitale Technologien in der Lehre – Selbstverantwortung oder Fremdbestimmung?» (Abstract | Präsentation). Ich hatte das Gefühl, dass Christian ein wenig am Publikum vorbeiredete, wofür er aufgrund des anderen Publikums, als es der Titel erwarten liesse, natürlich nichts konnte. Leider musste ich in seinem Vortrag gehen, so dass ich die Diskussion nicht mitbekommen habe. Christian hat sich in seinem Vortrag mit der Hochschuldidaktik und der Reformpädagogik auseinandergesetzt, die seiner Meinung nach voneinander lernen könnten. Er schilderte die Irrtümer der vergangenen Jahre:

– Inflation des Kompetenzbegriffs: Verrat am Humboldtschen Ideal der Zweckfreiheit von Bildung
– Pseudo-Objektivismus: Verständnis von Lernen als messbare Verhaltensänderung
– Anpassung an Massenbetrieb durch Standardisierung und Vereinheitlichung
– Technologieorientierte Implementierung: Verwaltungslogik statt Pädagogik
– Institutionalisierte Bildung als Verteilungssystem für Berechtigungen sowie
– Anfälligkeit für Hype und (Pseudo)-Trends

Dies verhindere vielfach wirkliche Innovation in der Lehre, beim Medieneinsatz hangelt man sich sehr an Analogien zum realen Leben entlang.

Spannend fand ich seine Grundlagen für eine Neuorientierung in der Hochschuldidaktik:

-Lehrende sind als Forscher vertraut mit selbstgesteuertem Kompetenzerwerb, das muss für die Lehre genutzt werden
РF̦rderung von Neugier, eigenen Experimenten und kleinen Projekten ist
erfolgreich
РPerșnlicher Kontakt ist elementar, Lehrende und Lernende sind Partner und
lernen voneinander
– Vertrauen und persönliche Beziehungen sowie schnelle Verfügbarkeit & flexible Handhabung sind wichtig
– Ãœberwindung hierarchischer Grenzen (Lerner/Lehrender/Forscher) durch Integration in den fachlichen Kontext sowie dezentrale und flexible Infrastruktur statt zentraler Systeme
– Vernetzung von Forschung und Lehre durch Individueller Kontakt, kurze Wegel durch Unterstützung der Selbstorganisation und durch projektbezogene Beratung/Unterstützung statt Vermittlung (Lernen ist Forschung!)
– Institutionelles Lernen mit informellem Lernen  verbinden

In Zürich gehen wir einige dieser «Projekte» schon an. Dennoch gibt es auch hier noch das ein oder andere Entwicklungsprojekt für die Hochschuldidaktik.

Exkurs: Was mich ein wenig gestört hat, ist die Refrenzierung auf die Neuronenmetapher von Jean-Pol Martin (nachzulesen hier). Da heisst es zum Beispiel:

– Mach dich transparent: liefere in deinem Profil möglichst viele, für den Benutzer spannende Informationen über dich. Je mehr Informationen du über dich gibst, desto größer die Chance, dass jemand einen Ansatzpunkt zur Zusammenarbeit entdeckt. Angst vor Missbrauch der Angaben ist meistens unbegründet. No risk, no fun!
– Kontaktiere viele Leute: Wenn du Mitstreiter suchst, muss du Leute ansprechen, auch wenn du auf manche penetrant wirken kannst. Wenn du dich nicht rührst, wird dich niemand beachten. Wenn jemand dich penetrant findet, wäre er sowieso kein guter Arbeitspartner für dich.
– …
– Neuronen sind nicht beleidigt
– Neuronen machen keine Pause; sie nehmen erst dann Urlaub, wenn ihr Projekt abgeschlossen ist
– Neuronale Netze gehen mit Unschärfen spielerisch um.

Ich frage mich an dieser Stelle zweierlei. Zum einen: welches Menschenbild steckt eigentlich dahinter, wenn man Menschen nur noch als Ressourcen oder Neuronen ansieht. Zum zweiten finde ich allzu plakative Thesen immer recht fragwürdig, gerade in der Wissenschaft. Hier geht es genau um die Sprache und somit auch um Schärfe (des Denkens, des Ausdrucks, …). Sprache ist Denken. Und von daher finde ich Aussagen, die nur damit sie Gehör finden, ihre Botschaft plakativ in den Raum schreien, in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen eher Fehl am Platz und die These des spielerischen Umgangs mit Unschärfen eher problematisch. Aus diesem Grund hat mich die Diskussion hier auch so abgeschreckt.

Alles in allem war es eine spannende Tagung an Inputs – von der ich mir eher mehr fachliche Diskussion auch mit VerteterInnen aus dem Bereich Hochschuldidaktik und E-Learning gewünscht hätte – ich hatte das Gefühl, dass die Tagung nicht auf das Publikum, das sie von den Themen und Inhalten hätte ansprechen können.

Nachtrag 11.10.1009

Peter Baumgartner hat die ANT hier kurz zusammengefasst.

Comments

„Mach dich transparent: liefere in deinem Profil möglichst viele, für den Benutzer spannende Informationen über dich. “
Ein ganz wichtiger Aspekt, um sich erfolgreich im Netz zu vermarkten. Man muss natürlich auch recherchierem um uptodate zu bleiben.

Unter dem Motto „E-Kompetenz 3.0 – Neue Herausforderungen für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung“ stand am 06. und 07.11.2009 die Tagung an der der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz Luzern…

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