Heute schon geirrt?

Ich habe auf der Heimfahrt einen interessanten Podcast aus der SWR2 Aula gehört: «Haben Sie sich heute schon geirrt? Von der Belehr- zur Lerngesellschaft» von Reinhard Kahl. Eigentlich ist das Thema nicht neu, aber wir haben es immer noch nicht geschafft, in Bildungsinstitutionen und im Privatleben Fehler als Entwicklungschancen zu sehen. Einige Aussagen im Podcast finde ich richtig gut, so dass ich sie her gerne teilen würde.

„Hast Du heute schon einen Fehler gemacht?“ Die gleiche Frage, nur ganz anders betont, empfehlen Unternehmensberater neuerdings als eine Art Mittagsmeditation. Angefangen hatte es mit diesem Spruch bei Rank Xerox in Kalifornien. Die Frage dient nun einer ganz anders temperierten Selbsterforschung. Habe ich schon etwas gewagt? Die neue Vermutung heißt: Wer noch keinen Fehler gemacht hat, der hat vielleicht noch gar nichts gemacht, hat sich zumindest nicht bewegt.
Fehler werden im mentalen Pass von Grenzgängern nicht mehr als Makel verzeichnet. Im Gegenteil. Wer dort ohne Eintragungen ist, hat schlechte Karten. Der Fehler gilt nicht mehr quasi als Sünde, die die Angst nach sich zieht, selbst irgendwie falsch, vielleicht sogar durch und durch falsch zu sein – und nun beim Fehler kommt es heraus. Der Fehler gilt plötzlich als etwas ganz anderes: Er ist ein Hinweis auf einen Vorsprung im Lernprozess. Denn am Fehlversuch geben sich die heute gefragten Grenzgänger zu erkennen. Wer Neuland betritt, macht Fehler, unweigerlich. Das ist die Quintessenz lernender Organisationen: Der Fehler ist das Salz des Lernens.

Diese Mittagsmeditation als Reflexionsanregung finde ich sehr spannend. Dennoch haben Fehler auch positive Auswirkungen auf kreative Prozesse:

Für Kreativität – oder ganz generell für die Möglichkeit, dass etwas noch nie da Gewesenes entsteht – gilt die Paradoxie, dass nur das gelingen kann, was auch schief gehen darf. Natürlich geht es nicht darum, alte dumme Fehler zu wiederholen, sondern neue, intelligente Fehler zu wagen. „Ich ernähre mich von meinen Fehlern“, sagte Joseph Beuys.

Doch warum tun wir uns so schwer damit, Fehler als notwendige Prozesse anzuerkennen? Kahl führt es auf unsere Kultur zurück:

Dazu muss man sich von der Alltagsreligion der Perfektion verabschieden. Und das fällt den Deutschen so schwer. Tatsächlich waren und sind sie Meister der Perfektion. Damit wurden sie sogar Weltmeister in der Konkurrenz der Industriegesellschaften. Aber die Perfektion hat einen großen Nachteil. Ihr fehlen die Lücken. In diese Lücken nistet sich das Neue ein. In japanischer Tradition ist genau das eine Definition von Zukunft: Aus der Lücke, die man in der Gegenwart lässt, entspringt Zukunft.

Fehler haben auch viel mit Vertrauen zu tun, und um dies ist es in Deutschland auch nicht sehr gut bestellt:

Das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Gallup untersuchte in 47 Ländern, ob dort Vertrauen oder Misstrauen dominiert. Aus einer Liste von 17 Institutionen sollten die Befragten diejenige auswählen, die ihr größtes Vertrauen genießt. Das Ergebnis nach 36.000 weltweit durchgeführten Interviews: Schulen, Kindergärten und Universitäten stehen an der Spitze. Den Bildungseinrichtungen wird international das meiste Vertrauen gegeben. Das ist eine gute Nachricht. Die schlechte heißt, man ahnt es schon, in der deutschen Gefühlslandschaft liegt die Bildung im Misstrauenstal deutlich unter Normalnull exakt auf Platz 11 dieser 17 angebotenen Möglichkeiten. Höchstes Vertrauen genießt bei uns die Polizei. Auf Platz zwei folgt das Militär, punktgleich mit der UNO. In einer ähnlichen, auf Deutschland beschränkten Befragung steht der ADAC an der Spitze.

Kahl spannt den Bogen im Podcast sogar noch weiter und berichtet über Erfahrungen mit Schulen und spannende Schulprojekte, die eine eigene Art des Umgangs mit Fehlern gefunden haben. Es lohnt sich also, weiterzuhören.