Medienkompetenz und virales Marketing

… ist für mich eine neue Verbindung – aber der Reihe nach: Nun liegt es seit Ende Juni vor, ein erster Entwurf der Projektgruppe Medienkompetenz der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ der Bundesregierung zum Thema „Medienkompetenz“ und endlich habe ich es geschafft, dieses Papier ganz zu lesen.

Und was soll ich sagen: es ist nochmals der Versuch, Medienkompetenz a) zu fassen und b) Massnahmen und Zielgruppen für die Förderung von Medienkompetenz zu identifizieren. Ich finde aber, beides gelingt nicht richtig. Nach Definitionsversuchen und einer Bestandesaufnahmen zum Bereich Medienkompetenz folgen Leitfragen und Zielvorstellungen von Medienkompetenz in der Gesellschaft. Danach schließt sich ein Kapitel zum Jugendschutz an, bevor die Zielgruppen der Maßnahmen von Medienkompetenz sowie Handlungsempfehlungen gegeben werden. Alles in allem ein 90-Seiten Bericht, der sich gar nicht so einfach liest.
Inhaltlich muss ich sagen bin ich ein wenig enttäuscht (aber vielleicht darf man sich von politischen Papieren da auch nicht zu viel erwarten). Ziel von Medienkompetenz ist nach dem Bericht der Kommission eine digitale Selbstständigkeit. Diese beinhaltet dann folgende Ziele:

* technische Fertigkeiten (Umgang mit Hard- und Software, Grundverständnis vom Aufbau der Internets, Grundkenntnisse im Programmieren etc.), die vor allem auf das Verstehen von Zusammenhängen und der Befähigung zum Selbstlernen abzielen;
* kritisches Hinterfragen von Inhalten (Quellen einschätzen, Absichten von Sendern erkennen, Sensibilisierung für Werbebotschaften etc. Das ist ebenso für den Umgang mit „klassischen Medien“ wichtig – zum Beispiel Zeitungsprojekte, die auch für den Umgang mit Online-Inhalten positive Effekte haben können.);
* kompetenter Umgang mit der Informationsflut (Grundverständnis der Funktionsweise von Suchmaschinen; vermeiden von einseitiger Informationsauswahl, statt dessen sinnvolle Nutzung der Meinungsvielfalt im Netz);
* Risikobewusstsein (Kostenfallen, Datenschutz, Betrug, Missbrauch)
* Kreativität beim Umgang mit und Schaffen von Inhalten, aber auch Grundsätzliches wie Werte und soziale Kompetenz (Problembewusstsein für Cyberbullying, sich verantwortungsvoll bewegen in einem mehr oder weniger anonymen Raum etc.);
* Grundlagenkenntnis: beherrschen der Kulturtechniken Schreiben und Lesen,
* Informationskompetenz, also die Fähigkeit, Informationen zu bewerten und zu nutzen, Unbedeutendes auszusortieren sowie einschätzen zu können, wie viel Informationen situationsbezogen angegeben werden müssen/können;
* Befähigung zum Erstellen eigener Inhalte (Webseite, Blog, Film, Musik, eventl. Software- Entwicklung)

Anhand dieser Ziele kann man zweierlei feststellen: Während am Anfang Sozialkompetenz beispielsweise zur Medienkompetenz gezählt wurde (S. 13), findet sich diese hier kaum wieder. Selbst der Report identifiziert auf S. 12 Trends wie Mobilität, Aktivität und community-Orientierung. Jedoch tauchen diese Aspekte in den Zielen weniger auf. Ebenfalls sind die einzelnen Aspekte für mich zu stark oft aus einer defizitären und kritischen Sicht geprägt, also zu negativ konnotiert. Warum geht es eigentlich bei Medienkompetenz immer nur um die Gefahren, und nie um Potenziale, die diese bieten? Warum nicht auch positive Fähigkeiten und Fertigkeiten unter Medienkompetenz fassen? Wichtig ist doch die Reflexion des eigenen Tuns, un dies in beide Richtungen.
Zum anderen sieht man, dass sich in Definitionsveruschen immer mehr Medienkompetenz und Informationskompetenz annähern, ein Moment, das ich in meiner Diss auch betont habe.
Es gibt mehrere Passagen, die spannend sind,  aber was mich am meisten erstaunt hat, ist die Verbindung von Medienkompetenzförderung mit viralem Marketing. Im ersten Moment dachte ich, ich habe mich verlesen. Doch es wird wirklich virales Marketing als eine Möglichkeit dargestellt, Medienkompetenz zu fördern:

„Ein weiterer Ansatz zur verbesserten Medienkompetenzarbeit mit Schülern könnte auch der gezielte Einsatz des so genannten viralen Marketings sein. Hierbei handelt es sich um eine Marketingform, die vor allem soziale Netzwerke und Medien nutzen, um mit aufmerksamkeitswirksamen Nachrichten auf ein Produkt, ein Ereignis oder ähnliches hinzuweisen. Gefällt dies den Nutzerinnen und Nutzern, senden sie es beispielsweise an Freunde und Bekannte weiter. Auf diese Weise kann z.B. für eine ein Kampagne maximaler Erfolg bei minimalem finanziellen Aufwand erzielt werden. Insofern kann virales Marketing – entsprechend vorbereitet und eingesetzt – ein wirksames Instrument zur Verbesserung der Medienkompetenz sein. Zumal nach dem Treffen mit Freunden die Internetnutzung die Freizeitbeschäftigung deutscher Kinder und Jugendlicher zwischen zehn und 18 Jahren ist (…)Die Besonderheit des viralen Marketings ist, dass hier nicht vordergründig mit Maßnahmen der Vermittlung von Medienkompetenz geworben wird. So können beispielsweise im Zusammenhang mit Informationen zum Datenschutz in sozialen Netzwerken interaktive Grafiken, Spiele oder Wettbewerbe zur Beteiligung der Nutzer eingesetzt werden. Diese Maßnahmen sind geeignet, ein Nachdenken über das eigene Verhalten im Internet anzuregen, dass dann auch auf andere Anwendungsbereiche übergreift “

Virales Marketing als Methode der Medienkompetenzförderung???? Klar, sollte man informelle Lernprozesse stärker in den Fokus nehmen, aber virales Marketing als Medienkompetenz? Wenn überhaupt, kann m.E. dadurch nur eine Informationsvermittlung geschehen, aber  Aufbau von aktiver und reflexiver Medienkompetenz benötigt m.E. mehr als das einfache Anschauen eines über Facebook verbreiteten YouTube Filmchen oder netter Infographiken. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren, wenn mir jemand (vielleicht auch der Expertenkommission) dies näher erläutern kann. So lange finde ich es, na, sagen wir mal, „grenzwertig“.

Und noch ein Detail geht mir durch den Kopf: Inwieweit ist es denn eigentlich noch gerechtfertigt, von Medienkompetenz zu sprechen? Wie differenziert und aussagekräftig ist das Schlagwort eigentlich noch, wenn man Kompetenzen beschreiben möchte, die alltäglich sind und die nicht mehr vom Medium ausgehen, das als als virtuell Gegenteil vom realen Leben aufgefasst wird, sondern genau so real ist, wie es die Welt nun mal ist. Das ubiquitär und überall einen Zugang in den Alltag bietet? Lenkt einen Medienkompetenz nicht immer gleich auf eine falsche Fährte, die zudem auch noch stark vom eigenen Medienbegriff abhängig ist? Was wären aber Alternativen? Dazu bei Gelegenheit an gleicher Stelle aber mehr 🙂

PS: Ein kleines, aber lustiges Detail von S. 82: Die AG Internet unter der Federführung der Landesmedienanstalt des Saarlandes hat keinen Internetauftritt J Vielleicht ist das auch symptomatisch für Medienkompetenz – viele programmatische Forderungen, wenig Umsetzung.

PPS: Spannend auch die Passagen, wo sich unterschiedliche Parteien nicht in der Formulierung und/oder Aufnahme in den Bericht entscheiden konnten 🙂

 

UPDATE

Gut dazu passt auch folgendes Schmankerl aus meiner Twitter-Line: „Medienkompetenz? WTF??“