Ökonomisierung unter dem Deckmantel von Digitalisierung

Ich habe eben neugierig in den neuen Horizon Report 2017 geschaut und mich mehr als gewundert, welches Bild von Universität dort durch die Hintertür technologischer Entwicklungen mehr aus durchscheint:

So heißt es u.a. „Der Campus hat sich zur Brutstätte von Unternehmensgründungen und Erfindungen entwickelt, und so werden Hochschulen zunehmend als Innovationstreiber betrachtet (…) Die Integration von Unternehmertum in das Hochschulstudium erkennt zudem an, dass jede große Idee irgendwo ihren Anfang haben muss und Studierende und Lehrende mit den nötigen Werkzeugen ausgestattet werden können, um echte Innovationen in Gang zu setzen. Um Schritt zu halten, müssen Hochschulen ihre Curricula kritisch überprüfen und ihre Evaluationsmethoden so anpassen, dass Hürden beseitigt werden, die neue Ideen behindern.“ (Hervorhebungen MSR) oder ein wenig später:

„Zunehmender Fokus auf der Messung von Lernprozessen. Dieser Trend kennzeichnet das Interesse an Assessment und der breiten Vielfalt an Methoden und Werkzeugen, die Lehrende für die Evaluation, Messung und Dokumentation von Hochschulreife, Lernfortschritten, Kompetenzentwicklung und anderen lernbezogenen Bedarfen von Studierenden einsetzen. Gesellschaftliche und ökonomische Faktoren geben vor, welche Fähigkeiten in der heutigen Arbeitswelt verlangt werden. Daher müssen Colleges und Universitäten überdenken, wie Kompetenzerwerb und Soft Skills, z.B. Kreativität und Teamarbeit, in einem Studienfach definiert, gemessen und belegt werden können. Die Verbreitung von Datamining-Software und die Entwicklungen in der Online-Lehre, im mobilen Lernen und in Lernmanagementsystemen verbinden sich zu Lernumgebungen, die Learning Analytics und Visualisierungssoftware einsetzen, um Lerndaten multidimensional und übertragbar darzustellen.“ (Hervorhebungen MSR)

Aufatmen könnte man, wenn man dann die Forderung der Verbesserung der Digital- und Medienkompetenz liest … und wird doch gleich wieder ernüchtert, denn Begründung dafür sind einzig „Moderne Arbeitsweisen, die entscheidend für den Erfolg am Arbeitsplatz und darüber hinaus“ seien. Und auch die Gestaltung von Lernräumen wird im Dualismus zwischen Tradition und Innovation gerahmt: „Während die Hochschulen sich von traditionellen, vortragsbasierten Lehrveranstaltungen hin zu Praxisszenarien wenden, werden ihre Unterrichtsräume den Arbeitsplätzen und sozialen Umgebungen der realen Welt immer ähnlicher, die natürliche Interaktionen und interdisziplinäre Problemlösungsansätze unterstützen.“

Und so verwundert es nicht, dass es in der Zusammenfassung von Schlüsseltrends dann auch ganz offen heißt: „(…) Hochschulen tragen eine Verantwortung tiefergehende, aktive Lernerlebnisse und eine praxisbezogene Qualifizierung zu ermöglichen und dabei Technologien sinnvoll zu integrieren.“

Da braucht man sich dann auch nicht mehr auf Humboldt berufen, worauf schon Gabi aufmerksam gemacht hat – hier wird ganz offen ein Modell von Universitäten und Hochschulen  gezeichnet, welches Persönlichkeitsbildung gänzlich der Qualifikation und Ausbildung preis gibt, Ökonomie und Effizienz als Erfolgsfaktoren ausmacht, Studierende fit für den Arbeitsmarkt zu machen – und die Digitalisierung mal als Grund, mal als Mittel dafür ausmacht. Die amerikanische Universität als (vermeintliches) Vorbild. Und das fängt schon bei der Sprache an. An dieser Stelle nur zwei Beispiele: Wir sind laut Horizon Report konfrontiert mit einem zunehmenden „Wissensverschleiß“ und gewarnt: „Bevor dieser Trend an einer Hochschule Wurzeln schlagen kann, müssen Lehrende und Mitarbeitende mit den nötigen Werkzeugen zur Umsetzung neuer Methoden ausgestattet werden„ – und damit werden dahinterliegende Bilder mehr als offensichtlich.

Ich meine, wir müssen hier dringender kritischer hinschauen und in die Diskussion darüber kommen, welche Rolle Hochschulen durch die Hintertür von Digitalisierung zugeschrieben wird und was das letztendlich für Bildungsinstitutionen heißt.

Comments

Liebe Mandy,

ich teile Deine kritische und besorgte Haltung, wo diese ökonomischen Maßstäbe hinführen sollen und ob Persönlichkeitsbildung und das Humboldtsche Bildungsideal auf der Strecke bleiben. In Zeiten hoher Lebenserwartung und lebenslangen Lernens sollte hierfür umso mehr Zeit sein – und ich habe auch die Hoffnung, dass das langfristig der Fall bleiben kann. Gerade die Möglichkeiten und Angebote, die durch die Digitalisierung entstehen, lassen mich hoffen. In der Tat erscheint aber die Wirtschaftlichkeit der „Hochschule als Unternehmen“ aktuell und schon seit längerem immer stärker im Vordergrund. Ich finde das sehr schade und bin ehrlich gesagt, froh, dass ich in den späten 80er Jahren mit großen Freiheiten und Spielräumen studieren durfte…

Der Horizon Report ist, wie Du schon sagst, natürlich zum Einen vornehmlich US-amerikanisch geprägt, und von dort nehme ich wahr, dass im Hochschulbereich Geld und die dazugehörige wirtschaftliche Terminologie im Vordergrund stehen. Zum Anderen will der Report herausstellen, was gerade durch Technologien möglich ist – und das ist auch im Report nicht immer (nur) positiv beschrieben.

Eine Anmerkung von mir als Ãœbersetzerin der deutschen Fassung: Mit dem Wort „Wissensverschleiß“ habe ich wiedergegeben, was im Original als „knowledge obsolescence“ bezeichnet wird. Gemeint ist der Umstand, dass einst gewonnenes Wissen, das sich auf die Anwendung konkreter Technologien (in der Lehre) bezieht, jedes Mal wieder verloren geht, wenn diese Technologien durch neue ersetzt werden. Also ein laufender Prozess, in dem immer wieder Wissen obsolet und nutzlos wird, das zuvor sehr relevant erschien. D.h. also auch in diesem Kapitel geht es um die Digital- und Medienkompetenz, die zur umsichtigen Auswahl der richtigen Instrumente befähigen soll.

Liebe Helga, vielen Dank für deine Rückmeldung. Es ging mir auch gar nicht um die deutsche Übersetzung per se, sondern um meinen Eindruck, dass Medien immer mehr mit Effizienz und Effektivität in Bildungseinrichtungen diskutiert werden. Und in der Hochschule ist dies gerade mehr als offensichtlich und mir fehlen genau diese Spielräume. Wir müssen aufpassen, dass digitale Medien nicht zum (Hexen-)Besen werden, den wir nicht mehr loswerden.

„Ich meine, wir müssen hier dringender kritischer hinschauen und in die Diskussion darüber kommen, welche Rolle Hochschulen durch die Hintertür von Digitalisierung zugeschrieben wird und was das letztendlich für Bildungsinstitutionen heißt.“ UNBEDINGT. Nur: Wir brauchen alternative Konzepte zu aktuellen Form der Digitalisierung. Ich fürchte nur Hinschauen und Diskutieren reicht nicht (mehr).

Liebe Gabi, haben wir diese alternativen Konzepte in Form von Medienbildung und (pädagogischer) Medienkritik nicht schon?

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