Reflexion der diesjährigen ECER

Dieses Jahr habe ich die GMW ausgelassen und war stattdessen auf der ECER Tagung in Berlin. Zeit, mal einen Blick über die deutschsprachige Community zu werfen. Beeindruckt, und an manchen Stellen überfordert, war ich von der Fülle des Programms. Wohin soll man bei geschätzten 2000 Veranstaltungen gehen? Welches Netzwerk interessiert einen am meisten? Gerade diese Frage war für mich schwer zu beantworten, so dass ich zwischen mehreren Netzwerken gependelt bin: von Teacher Education über Information Literay, Higher Education bis hin zu Open Learning, Media and Culture reichte mein Spektrum. Hierdurch eröffnete sich auf einer Metaperspektive aber auch ein spannender Blick in unterschiedliche Diskursstränge und methodische Ansätze.
Die Session information literacy gab einen guten Überblick über aktuelle Diskussionen in der Erfassung von Medien- oder Informationskompetenz, vor allem in Europa. Viele Forschende arbeiten hier an einem Thema, doch wie vor allem Amber sagte, meist mit wenig Bezug aufeinander. Hier haben vor allem die großen Projekte des IPN und des DIPF Gelegenheit gehabt, ihre quantitativ orientierten Messverfahren zur Erhebung von Informationskompetenz zu zeigen. Was mir auffiel ist die geringe methodologische Diskussion und konzeptuelle Diskussion: Was wird da eigentlich genau gemessen? Meist war es aus meiner Perspektive klassische Informationskompetenz , d.h. die rezeptiv orientierte Suche und Bewertung von Informationen, also aus meiner Sicht ein Rückzug auf klar messbare Teilkompetenzen (Informationssuche, Informationsbewertung, usw.)
Ich frage mich dann meist: ist ein solches Messverfahren, das für Teilkompetenzen gilt, auch für eine breitere Definition von Medienkompetenz haltbar? Und welchen Vorteil hat es, neben bisher eher qualitativ orientierten Verfahren aus der medienpädagogischen Perspektive nun quantitative Verfahren unter dem Blickpunkt der Psychologie zu verfolgen? Wie sähe ein verknüpfendes Design aus? Diese Diskussionen sind aus meiner Sicht zu wenig aufgekommen, vielleicht ist das ein Thema, das verstärkt im Herbst in Leipzig auf die Agenda kommt. Dafür ist mir nochmals ins Gedächtnis gerufen worden, auch computerbasierte Erhebungsmethoden stärker zu betrachten. Von daher gefiel mir das Instrument von Amber zur Erfassung von Informationskompetenz hinsichtlich der Suche nach Informationen sehr, das sie in google integriert hat (Folien).

Neben den einelnen Sessions, auf die ich hier aufgrund der großen Fülle gar nicht genau eingehen kann, war für mich das Panel sehr anregend, obwohl leider wenig Diskussion aufkam. Ãœberschrieben war es mit dem Titel „Education Research and Useful Knowledge – Production, Dissemination, Reception, Implementation. Zentrale Frage dahinter war: „What counts as useful education knowledge?“
Diese Frage wurde unterschiedlich beantwortet: Frau Marit Honerod Hoveid kritisierte das bisherige Vorgehen in der Erziehungswissenschaft in Anlehnung an Hanna Ahrendt mit den Gedanken zu educational reasearch „under fabrication“ (Hannah Ahrendt) the human condition:
„(…) the generalization of the fabrication experience in which usefullness and utility are established as the ultimate standards of life and the world of men“ (Hanna Ahrendt, 1989, p. 157) und illustrierte ihre Ideen mit dem Rückgriff auf Momo und die Zeitdiebe.
Petra Stanat hingegen zählte auf, was Kritierien nicht für nützliche, sondern für relevante erziehungswissenschaftliche Forschung gelten:

Criteria
* sound theoretical basis
* theory-based research question
* research questions build on previous research
* adequate choice of methodological approach
* adequate application on methodological approach
* clear, detailed description of methodology
* validity of interpretaions/conclusions

we need:
* high-quality peer reviews focusing on soundnes of research approach
* stronger emphasis on replications as quality criterion
* disciplinary culture of quality
* excellent training of students
* excellent supervision of graduate students and postdoctoral students
* another potential quality criterion, practical relevance

Sehr einleuchtend, da nicht gegenseitig ausschließend, erscheint mir auch ihre Einordnung von Forschungstypen:

Types of educational research
1) basic research
* practical relevance of subordinate importance
* scientific relevance key
* internal validity key
2) more applied research
* practical relevance more important
* internal validity and external validity have to be balanced
3) research specifically designed to inform policy and practice
* practical relevance important
* internal validity and external validity have to be balanced
* consequential validity key

Was bleibt von der ECER 2011 für mich? Neben spannenden Gesprächen mit alten und neuen Kontakten vor allem stapelweise Papier und Hinweisen zur weiteren Bearbeitung. Nach dem Ãœberblick über die Breite der Diskussion erziehungswissenschaftlicher Forschung habe ich ein paar Anregungen erhalten, die hoffentlich auch die eigene Forschung weiter vorantreiben 😉

Comments

Hmm, aber diese Wissenschaftskriterien hauen mich jetzt nicht vom Hocker: Die könnten doch für praktisch jede Wissenschaftsdisziplin gelten, oder?

Lieber Beat, ja, in der Tat, das könnten sie. Für mich war es spannend, stellt jemand mal mehrer Formen gleichberechtigt nebeneinander: stärker wissenschaftlich orientiertes Wissen und stärker anwendungsorientiertes Wissen mit konkreten Auswirkungen auf das Bildungssystem. Beide Formen von Forschung haben Platz. Ebenso hat Frau Stanat beide Formen der Wissensgewinnung, egal ob qualitativ oder quantitativ als gleichberechtigt nebeneinandergestellt – einzig die Qualität sei wichtig. Dieser Aspekt geht m.E. in der Diskussion um empirische Erziehungswissenschaft, die meist als quantitativ und im besten Falle large scale wahrgenommen wird, meist unter. Von daher für mich nochmals spannend, was bleibt, ist die Frage nach konkreten Auswirkungen in Wissenschaft und Forschung. Aber das wird sich zeigen 😉

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