Vom Bildungsinzest zur Schein-Bildung

Im Brand eins Magazin geht es diesmal um den Schwerpunkt Bildung. Der Artikel von Wolf Lotter «Die Stunde der Idioten» beschäftigt sich polemisierend mit dem grossen Bereich der (Un)Bildung:

Fünf Minuten vor der Wissensgesellschaft drehen wir die Uhren zurück: Das Bildungssystem versucht, Wissen und Kreativität zu industrialisieren. Das schafft jede Menge Auftrieb für Hohlköpfe.

So polemisch geht es weiter, auch die Medien und Bologna dürfen nicht fehlen:

Bildungskanon, das klingt toll, ist aber nicht viel. Tatsächlich ist darunter nicht mehr und nicht weniger zu verstehen als das Notwendigste, das man zum sozialen Überleben in einer Kultur braucht, ohne dass man als Vollidiot gilt. Diese Halbbildung wird nie kritisch hinterfragt. Man tut, was alle tun. Wie weit es damit steht, kann man überall sehen: Was Fernsehmoderatoren, Models und Schauspieler tragen, will man auch haben; schick ist, was die haben, die man kennt. Man liest, was in der »Spiegel«-Bestseller-Liste steht. Das ist alles nicht viel, es ist Nachahmung, reproduzierter Geschmack, kopierte Bildung, die man sich aneignet. Aber immerhin: Man tut wenigstens noch so, als ob. Ein Blick auf die populäre Medienkultur zeigt, dass das von gestern ist. Heute lernt das Privatfernseh-Prekariat beim
„Perfekten Promi Dinner“ noch nicht einmal, wozu ein Besteck nützlich sein könnte. Und Applaus ist allen sicher, die ihre Beschränktheit öffentlich zelebrieren.

Bologna macht aus Universitäten Bildungsfabriken, in denen mit hoher Fertigungspräzision
Hohlköpfe hergestellt werden. Nun werden Hochschulen das, was Schulen längst sind.

Harte Worte. Dennoch findet sich zwischen den Zeilen das ein oder andere nachdenkenswerte, von Bologna über das Abitur bis hin zum lebenslangen Lernen. Wer weiterlesen möchte, der findet das öffentlich zugängliche PDF hier.

Comments

Hallo Mandy,

das ist wirklich ein spannender Artikel! Ich lese die brand eins schon eine ganze Weile, aber so harte und doch zum Nachdenken anregende Worte finden die Leitartikel selten. Gerade der Punkt 5 „Bildung und Beweglichkeit“ hat mich zum Nachdenken bewegt:

„Bildung dient also der Entwicklung und der Freiheit des Menschen, nicht seiner Anpassung an rasch veränderliche Bedürfnisse der Leute, die über ihn verfügen wollen. Das war vor 200 Jahren so klar wie heute. Humboldt lebte an der Schwelle jener industriellen Gesellschaft, die aus „Menschen Maschinen machen will“. Die Unvernünftigen, die das wollen, sind immer noch nicht ausgestorben. Leider.“ (brand eins 05/08, S. 65)

Als Vertreter von Bildungseinrichtungen fühlen wir uns gleich an den Pranger gestellt. Die Frage für mich ist aber, wer hier mit „unvernünftig“ gemeint ist. Sind es wirklich die Bildungseinrichtungen? Oder sind viel mehr diejenigen gemeint, die über Bildung entscheiden (wo ich ausdrücklich auch „die“ Wirtschaft einschließen möchte)? Ich bin mir unschlüssig; vielleicht lösen die weiteren Artikel mein Gedankenwirrwarr (die ich leider noch nicht komplett lesen konnte). Oder hast Du eine Idee?

Liebe Grüße,

Sandra

Hallo Sandra
Ich denke, es trifft auf mehrere Personen zu (und auch auf einige, die in Bildungseinrichtungen arbeiten). Es sind meiner Meinung nach diejenigen gemeint, die über Bildung entscheiden: zum einen Bildungsexperten, die die Verwertung von Bildung in den Vordergrund schieben, zum anderen auch Bologna-Befürworter, die das Studium als „Aus“Bildung an einer Hochschule betrachten und den Bildungscharakter (Entwicklung und Freiheit des Menschen) aufgrund von Wettebwerbsfähigkeit und ökonomischen Kalkül aus den Augen verlieren. Und sicherlich auch z.T. die Wirtschaft, die genau diese Interessen an Bildungsinstitutionen heranträgt (ohne jetzt auf die „böse“ Wirtschaft schimpfen zu wollen. Ich denke, es geht um das Ausloten einer Balance beider Teile: sicherlich ist ein Studium immer auch eine „Ausbildung“, denn nur der geringste Teil der Studierenden bleibt an der Universität. Dem Druck der Wirtschaft sollten sich aber Universitäten (und auch Schulen übrigens) nicht beugen, indem Sie Curricula nur am Mantra der „Arbeitsmarktfähigkeit“ ausrichten. Auch und vor allem „Menschenbildung“ gehört dazu, und da muss nicht unbedingt aller Lernstoff direkt verwertbar sein. Ich lese es deshalb eher so, dass wir alle unseren Anspruch an Schulen und Hochschulen kritisch hinterfragen sollten, welche Art von Bildung für uns wichtig ist. Beide Pole sind meiner Meinung nach auszuloten.

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