Artikel | Social Software und Universitäten: eine kritische Analyse des Status quo

CoverNun ist es endlich erschienen, das Buch „Medien & Bildung„, das die Vorträge rund um die Ringvorlesung an der Universität Hamburg im Jahr 2008 zusammenfasst. So findet sich in diesem Buch auch ein Artikel von mir, in dem ich mich mit der Integration von Social Software in Universitäten auseinandersetze. Die Schwierigkeit des Themas lag für mich darin, dass das Thema im Jahr 2008 (hier geht es zum Vortrag von mir) „aktueller“ war als es dann im Jahr 2010, als ich den Artikel schrieb. So habe ich versucht, zum einen Beispiele für die Integration von Social Media in verschiedene Bereiche der Universität darzustellen, zum anderen aber auch diese kritisch zu beleuchten, denn viele der Beispiele kommen aus dem „Beispiel-Stadium“ nicht heraus und bleiben eher Einzelfälle. Eine wirkliche Durchdringung hat noch nicht stattgefunden. So komme ich zu folgendem Fazit:

„Obwohl Universitäten und Web 2.0-Prinzipien an vielen Stellen sehr gut zusammenzupassen scheinen, kann man (noch) nicht von einem Durchbruch im Bereich der Nutzung von Web 2.0 an Universitäten ausgehen. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht neu: Schon 2005 beklagt sich Butler, dass Wissenschaftler die neue Technologie verschlafen. Fünf Jahre später, eine gefühlte ›Ewigkeit‹ im digitalen Zeitalter, ist man nur an wenigen Stellen wirklich weiter. Doch liegt dies wohl nicht unbedingt an der Technologie, sondern eher an der Institution. Dirk Baecker merkt kritisch an, »dass der Geist und Idee der Universität sich am besten dadurch charakterisieren lassen, dass sie vom jeweils nicht mehr dominierenden Kommunikationsmedium schwärmen« (Baecker 2007: 104).
Vielleicht braucht man aber in der Diskussion um Social Software in der Wissenschaft eine stärkere Verbindung zwischen dem Einsatz von Social Software in den Wissenschaften und dem Einsatz von Social Software in der Institution Universität als Expertenorganisation. Als Expertenorganisation ist die Universität eine besondere Form der Organisation (vgl. Pellert 1999). Referenzpunkt der Forschenden ist weniger die Institution als die fachlichen Peergroups. Zumindest im Bereich der Forschung ›funktioniert‹ die Peer-Forschung aber sehr traditionell (vgl. Abschnitt 3.4). Birgt Social Software also nur für die Lehre und institutionelle Probleme einen Mehrwert, während in der Wissenschaft Social Software keine Rolle spielt? Ich denke nein. Schon unter dem Aspekt von for- schungsbasierter Lehre wird diese Trennung obsolet, hier kommt die Auswahl und der Nutzen von Medien aus beiden Bereichen zusammen – wobei zu fragen ist, welche Funktion welches Medium übernimmt bzw. welche Rolle Social Software da spielen kann. Wird forschendes Lernen nämlich mit Medien unterstützt, haben die Studierenden die Gelegenheit, zum einen in eine Scientific Community zu wachsen, zum anderen das Feld der Medien und Wissenschaftskommunikation zu reflektieren: Sie lernen nicht nur das Forschen am eigenen Forschungsgegenstand, sondern auch den Habitus der wissenschaftlichen Kommunikation (vgl. Schiefner/Tremp/Bihrer 2010). Durch eine stärkere Verbindung der Nutzung von Social Software in beiden Bereichen können Impulse zur Veränderung von Universität und Wissenschaft gegeben werden: Somit kann Social Software zum einen in der Lehre, zum anderen in der Forschung zur Lösung von Problemen eingesetzt werden, in denen es um Ko-Orientierung und kollektive Intelligenz, Partizipation und Dynamisierung, Interaktion und Kommunikation sowie um Authentizität und virtuelle Gemeinschaft geht. Zeitgleich ist ein Zusammenspiel von klassischen und ›neuen‹ Medien immer wieder neu zu denken und zu reflektieren. Diese wechselseitige Durchdringung des Medieneinsatzes im Rahmen des forschenden Lernens könnte Veränderungen auf beiden Seiten bewirken (und der Bildung medialer Monokulturen entgegenwirken). Um es provokant mit Dirk Baecker zu formulieren: »Die Universität ist primär nicht eine Stätte der wissenschaftlichen Forschung, sondern eine Sozialisationsagentur für die Heranführung des Nachwuchses an die komplexen Fragen von Welt, Leben und Gesellschaft« (Baecker 2006: 3) – und eben auch an mediale Kommunikationsformen.

Quelle: Schiefner, M. (2011). Social Software und Universitäten. Eine kritische Analyse des Status Quo. In T. Meyer, R. Appelt, C.Schwalbe, W.-H. Tan (Hrsg.). Medien & Bildung – Institutionelle Kontexte und kultureller Wandel (S. 307-323). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Das Thema wird mich sicherlich weiterhin beschäftigen – Jetzt bin ich jedoch erst einmal gespannt auf die anderen Artikel rund um das Thema Medien & Bildung 🙂