Unter dem Titel „Banking_2.0 -Lernen mit Social Software“ haben ich gestern mit Urs Gröhbiel (Hochschule für Wirtschaft, FHNW) und Peter Lautenschlager (Institut für Schweizerisches Bankenwesen, UZH) einen Workshop in Zürich durchgeführt. Dieser Workshop war gleichzeitig das Ende eines Projekt, das ich mit Urs gemeinsam mit einer Schweizer Grossbank begleitet haben.
Im Laufe des Projekt haben wir immer wieder nach anderen Beispielen für den Einsatz von Web 2.0 zum Lernen im Bankenbereich gesucht. Da wir kaum fündig wurden, war es Ziel mit diesem Workshop direkt mit Experten über dieses Thema zu diskutieren (u.a. Antje Stobbe, Deutsche Bank Research; Daniel Stoller-Schai, UBS; Martina Göhring, CentreStage; Jochen Robes, HQ).
Spannend macht das Thema die Situation, dass es einen hohen Druck auf Finanzdienstleister gibt, sich mit dem Web 2.0 auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite scheinen Web 2.0-Anwendungen sehr gut geeignet zu sein, die Kommunikation mit den Kunden zu intensivieren und so durch die Bankenkrise verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Auf der anderen Seite gibt es eine Fülle von Web 2.0-Anwendungen im Finance Bereich (siehe hier), die für Kunden interessante Alternativen zu Bankdienstleistungen darstellen. Allgemein scheinen Banken aber nicht das Umfeld zu sein, das für offene Kommunikation a la Web 2.0 geeignet ist. Damit ist ein gewisses Spannungsverhältnis gegeben, in dem sich Befürworter und Gegner gegenüberstehen.
Interessanter Weise beginnt der (legendäre) Artikel „Enterprise 2.0: The Dawn of Emergent Collaboration (2006)“ von Andrew McAffee mit einem Beispiel aus einer Bank. Banken scheinen also nicht Innovationsscheu gegenüber Web 2.0 zu sein. Es gibt heute ca. 2oo Banken die Twittern und viel Beispiele für Banken die Wikis oder Blogs einsetzen oder in Second Life aktiv sind (siehe hier, hier und hier). Aber kann dies verallgemeinert werden? Leider gibt es nur wenig empirische Studien, die den Einsatz von Web 2.0 bei Banken bzw. im Finanzsektor untersucht haben (Fraunhofer IAO, ibiResearch u.a.). Diese haben dann oft nur einen geringen Stichprobenumfang. Tendenziell ist diesen Studien jedoch zu entnehmen, dass zwar die Potentiale von Web 2.0 im Banken- und Versicherungsbereich sehr hoch eingeschätzt werden, in der Realität aber nur ca. 20-40% der Banken Web 2.0 einsetzen. Insgesamt muss die Branche also als eher zurückhaltend gegenüber Social Software eingestuft werden.
Dokumentiert ist vor allem der Einsatz von Web 2.0 für die interne und externe Kommunikation. Findet man dazu – nach einiger Recherche – noch eine Reihe von Fallbeispiele, sucht man für das Lernen mit Social Software in dieser Branche nahezu vergebens. Zumindest mit einem engen Verständnis von (organisiertem) Lernen. Betrachtet man Kommunikation auch als Bestandteil informellen Lernens, sieht es etwas anders aus. Aber dies ist schon ein der grundlegenden Fragen. Kann man Banking 2.0 als Beschreibung für den Einsatz von Web 2.0 in der Kundenkommunikation mit internem Lernen unter Einsatz von Web 2.0 verbinden oder gar gleichsetzen? Streng genommen handelt es sich dabei sicherlich um zwei unterschiedliche Einsatzszenarien und aus Erfahrung kann selbst innerhalb eines Unternehmens der Einsatz im Marketing sehr gut klappen, während es in der Bildung überhaupt nicht funktioniert. Dabei spielt sicherlich auch die Unternehmens- und Lernkultur eine Rolle, d.h. ob Lernen und Weiterbildung vornehmlich in Kursen und Seminaren stattfindet und die Mitarbeiter das auch so gewohnt sind, oder ob Lernen im oben formulierten Sinne breiter verstanden wird und auch von den Führungskräften unterstützt wird. Dann kann Web 2.0 auch eine Brückenfunktion zwischen Kommunikation- und Bildungsbereich, zwischem formellem und informellem Lernen haben.
Allgemein zeigte sich für mich, dass es eher grundlgende Probleme, wie z.B. die zur Verfügung stehende Zeit ist, die sich hinderlich auf den Einsatz von Web 2.0 im Bankenbereich (aber sicherlich auch darüber hinaus) auswirkt. Breit wurden auch Reputationsrisiken durch die Nutzung von Web 2.0 und die besondere Bedeutung korrekter Informationen genannt. Wie aber von einem Teilnehmer bemerkt wurde, ist es was anderes ob ich Social Software privat oder in einem Unternehmen einsetze. Grundlegende Prinzipien – die Philosophie von Web 2.0 – die im Netz durchaus von Bedeutung ist, kann im Unternehmen nicht gelten. Hier muss sich Web 2.0 an das Unternehmen anpassen. Und das heisst unter Umständen zum Beispiel auch „Organisation“, „Verpflichtende Teilnahme oder Beiträge“ und/oder „Redaktionelle Bearbeitung der Beiträge“.
Als Ergebnis des Workshops kann festgehalten werden, dass auch das Gespräch mit den anwesenden ExpertInnen gezeigt hat, dass die Banken noch im „Experimentierstadium“ bei der Nutzung von Web 2.0 sind. Das gilt sowohl für den Bereich der Kommunikation und Information, als auch besonders für das Lernen. Aufgrund veränderter Nutzergewohnheiten als auch einer rasanten Entwicklung von Web 2.0-Anwendungen im Finanzbereich ausserhalb von Banken (z.B. P2P-Kreditpalttformen) könnte der Druck zur Veränderung schnell steigen und vielleicht wird in diesem Zusammenhang auch der Einsatz von Social Software zum Lernen breiter diskutiert werden.
Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse ist an dieser Stelle leider nicht möglich. Sie sollen nach Möglichkeit in eine Publiation unserer Projektergebnisse einfliessen, die dieses Jahr erscheinen soll.
Ergänzung:
Hallo Matthias,
spannender Bericht – merci!
Oben schreibst Du, dass sich Web-2.0-Tools sich ein Stück weit als Marketinginstrumente durchgesetzt haben, in unternehmerischen Bildungsprozessen aber so gut wie keine Rolle spielen. Ich finde, es wäre an der Zeit, hier über die Schnittstellenfunktion von CSR nachzudenken, denn das Thema der unternehmerischen Verantwortung berührt genau diese beiden Aspekte, die momentan unvereinbar erscheinen. Gerade wenn Unternehmen Bildungsprojekte unterstützen, womöglich Mitarbeiter dafür im Sinne der Personalentwicklung abordnen, wären Web-2.0-Tools zur Vor- und Nachbereitung von Bildungsprozessen extrem geeignet und es ließe sich zeitgleich ein authentisches Bild vom Unternehmen (und dessen Kultur) zeichnen. Nur mal so 😉
Liebe Grüße,
Sandra
Liebe Sandra
Das ist ein interessanter Gedanke. Wie geschrieben, ist diese Verbindung unterschiedlicher Einsatzziele von Web 2.0 in Unternehmen nicht zwingend gegeben. Ich denke auch, dass es durchaus nachvollziehbar ist, dass es an einer Stelle mehr Sinn macht, als an einer anderen. Aber Dein Beispiel zeigt für mich auch, dass es Sinn machen könnte über mögliche Synergien nachzudenken. Warum sollte der Blog eines Produktentwickler(teams) in einer Bank nur an der Kundenschnittstelle und nicht auch im Rahmen der internen Weiterbildung eingesetzt werden. Ich würde das sogar fast zwingend finden, dass Kundenberater die Informationen kennne, die an die Kunden weitergeleitet werden. Und die interne Nutzung von Social Software trainiert natürlich auch die Mitarbeiter für den Einsatz an der Kundenschnittstelle. Ich sehe da durchaus viele weiterer solcher Schnittstellen, die mir aber – nicht nur im Bankenbereich – wenig entwickelt scheinen. Insgesamt scheint mir in der ganzen Enterprise 2.0-Diskussion die Medien- und Berufsbildung ein wenig ausgeschlossen. Siehe auch http://www.mendeley.com/download/public/33638/110369886/781586f08f1ba0cdf1a9dff5ad60379bec54135e/dl.pdf
Danke für den Link, schaue ich mir gern vertiefend an… und ja: Momentan wird stark in getrennten „Lagern“ gedacht; ich kann mir aber auch sehr gut vorstellen, dass die Zukunft dahin geht, dass mehr Synergien zwischen einzelnen Unternehmensbereichen geschaffen werden (Kostendruck mag ein wichtiger Grund dafür sein). Die Frage ist dann „nur“, wie man die Lager“logik“ in den Köpfen der Leute löst. Schließlich sind sie daran gewöhnt, in Abteilungen zu denken und nehmen selten die Perspektive anderer Unternehmensbereiche ein (wobei man unter Umständen nach Erfahrung und Bildungsgrad unterscheiden muss). Hier wird es ganz neue Ansätze brauchen und besagte Schnittstellenthemen könnten die verschiedenen thematischen Web-2.0-Einsatzbereiche durchaus verbinden. Allerdings löst die prinzipielle Machbarkeit nicht das (nach wie vor bestehende) Grundproblem, nämlich die generelle Bereitschaft zur Teilhabe am Web 2.0.