Forschendes Lernen meets Bologna: Lehr- oder Leerformel?

Oft fällt auf, dass Hochschuldidaktik und E-Learning wenig miteinander zu tun haben: es gibt nur wenige Personen, die in beiden Communities zuhause sind, meist existiert man nebeneinander her. Gabi Reinmann hat nun an einem genuin hochschuldidaktischem Thema, dem Forschenden Lernen, gezeigt, wie wenig sich eigentlich in den letzten Jahren (und dabei sind nicht nur 2-3, sondern sage und schreibe 40! Jahre gemeint) verändert hat.

Ausgehend von dem Grundlagendokument der Hochschuldidaktik, der Expertise der Bundesassistentenkonferenz aus dem Jahr 1970 arbeitet sie Prinzipien und Ansprüche heraus und fragt sich, wie diese bis heute umgesetzt wurden bzw. was heutige Ansprüche sind. Und wie so oft (auch Beat weisst ja öfter auf die Tatsache hin, z.B. hier), sind die „alten“ Dokumente immer noch sehr aktuell.

Spannend aus meiner Sicht sind vor allem folgende Gedanken, die es weiter zu denken gilt:

– Fertigkeiten zur raschen und sicheren Recherche und Bewertung von Information sowie Präsentations- und Publikationstechniken scheinen in Zielkatalogen [heute] dominanter als Kritikfähigkeit und kritische Distanz [1970] . Wissenschaftstheoretische Reflexionen während des gesamten Studiums, wie man sie 1970 noch gefordert hat, sind längst dem engen Zeitdiktat der neuen Studiengänge zum Opfer gefallen. Schlüsselkompetenzen mit unmittelbarer Praxistauglichkeit sind für Studierende und potenzielle Arbeitgeber attraktiver. (S. 3)

– Großartige theoretische Neuerungen zum forschenden Lernen haben wir Zuge der Digitalisierung bis heute eher nicht vorzuweisen. Ein Umbenennen in „inquiry learning“ und der Vorschlag, dieses in Online Communities zu praktizieren, mag das Interesse am forschenden Lernen beflügelt haben. Innovative didaktische Szenarien aber sind daraus nicht hervorgegangen. (S. 5)

– Die alten Dilemmata aber haben auch die digitalen Technologien bis heute nicht auflösen können: Sobald man z.B. E-Portfolios als individualisierte Prüfung mit Rechtsfolgen einsetzen will, explodiert der Aufwand für deren Beurteilung. Interaktive Lernwelten als handlungsorientierte Abschlussprüfung scheitern am unermesslich hohen Aufwand für deren Erstellung. Die digital einfache Integration von Peer-Bewertungen erzeugt einen zu hohen Kontrollaufwand seitens des Lehrenden. Ob mit oder ohne digitale Medien dreht man sich hier im Kreis undste Lösung: das technologiebasierte Testen. (S. 10)

Die Frage, die mit dem Postulat des forschenden Lernens für mich einhergeht ist die der Kompetenzen der Dozierenden und Studierenden und der Ziele von Hochschullehre. Gabi hat es in ihrem Vortrag kurz angerissen: verfügen Dozierende und Studierende überhaupt über die Fähigkeit, forschend zu lernen? Denn, was heisst denn diese Forschungorientierung? Heisst das einfach, dass Studierende Teiluntersuchungen für den Dozenten durchführen? Heisst das einfach, selbstbestimmtes Lernen zu erhöhen und ide Eigenverantwortung der Studierenden zu betonen? Wie müssen Studierende (und auch Dozierende) in diese Methodik eingeführt werden? Denn: Hochschullehrer allein zu sein sagt noch nichts über die Kompetenzen aus, forschendes Lernen zu integrieren: das geschieht meist sehr intuitiv und wenig reflektiert.
Und vor allem stellt sich pointiert die Frage: ist dies eine Lernform und Aufgabe der Hochschule, die erst auf Doktoratsstufe einsetzt? Denn im Zuge der Bologna-Reform ist in der Tat zu fragen, ob man im Rahmen der Employability evtl. andere Kompetenzen als diejenigen braucht, die im Rahmen des forschenden Lernens erworben werden? Die grosse Frage ist für mich, wie man die unterschiedlichen Ziele universitärer Bildung (zum einen Arbeitsmarktorientierung, zum anderen Bildung) im Forschenden Lernen zusammen bringen kann. Nicht dass man mich falsch versteht: ich bin der Meinung, dass es geht, denn die Kompetenzen hinter dem forschenden Lernen sind auch für potenzielle Arbeitgeber wichtig. Von daher ist von einer Integration forschenden Lernens erst auf höheren Stufen der Universität aus meiner Sicht abzuraten und schon früh mit einzelnen Elementen zu beginnen. Dennoch besteht beim forschenden Lernen auch die „Gefahr“, dass es anstatt zur «Lehrformel» zur «Leerformel» wird, wenn es auf der einen Seite erst ab bestimmten Stufen eingesetzt wird und auf der anderen Seite wenig hinterfragt einfach postuliert wird, nach dem Motto: „Alles Lernen, das an Hochschulen stattfindet, ist per se forschendes Lernen“.

Dennoch bleibt die Hauptfrage bestehen: Warum gelingen Veränderungen in diesem Bereich nicht? Warum lesen sich Dokumente, die 40 Jahre alt sind ebenso aktuell wie heute? Warum bedeuten didaktische und hochschulpolitische Neuerungen oft Syssiphusarbeit? Eine wirkliche Antwort darauf habe ich leider auch nicht.

Besonders traurig und nachdenkenswert finde ich aber, dass mittlerweile Bologna auch bei denjenigen Hochschullehrenden, die das Thema sehr kreativ angegangen sind und nicht gleich aufgeschrien haben, ein Umdenken erzeugt:

Ich muss mein Urteil über Bologna revidieren. Ich habe den Schub zur subtilen Ökonomisierung unterschätzt, der damit einhergeht – flankiert von
Exzellenz-Initiativen, Wettbewerben und Kongressen, in deren Einladungen man unverblümt behauptet – ich zitiere: „Konzepte, die sich in der Wirtschaft bewähren, nützen auch den Hochschulen – angefangen von der strategischen Zielfindung über Prozessanalyse bis zur Detailsteuerung.“ Die Detailsteuerung ist auch in der Lehre angekommen und damit dort, wo wir als Bildungswissenschaftler unsere Kernaufgaben haben. In der Lehre bauen genau diese Steuerungsintentionen aus anderen Systemen auf völlig falschen Annahmen auf und führen zu inakzeptablen Folgen. (S. 11)

Das gesamte Referat findet man ausformuliert hier und die Folien zum besseren Verständnis der Gegenüberstellungen hier. Und das mms zeichnet den Vortrag immer auf, d.h. demnächst müsste es hier auch die Aufzeichnung des Vortrages geben.

Comments

Ich danke sehr für den Hinweis auf dieses wichtige Dokument.
Es bestätigt sehr meine Beobachtung, dass wir mit dem Begriff der „Schlüsselkompetenzen“ Forderungen, die an Hochschule und in der Lehrerausbildung in den frühen 70er Jahren aktuell waren, als scheinbare Neuentdeckungen aus dem Bereich der Wirtschaft präsentiert bekamen.
Allerdings sollte man beachten, dass dies damals Forderungen der Bundesassistentenkonferenz (!) waren und nicht etwa Vorstellungen, die damals allgemein akzeptiert waren.
Bemerkenswert ist freilich, dass diese Forderungen offenkundig weitgehend in Vergessenheit gerieten, sei es, weil die damals in der Bundesassistentenkonferenz Engagierten ihre Meinung bald gründlich änderten, sei es, weil die damals dort Engagierten niemals eine Chance hatten maßgeblichen Einfluss auf Hochschullehre zu nehmen.

Lieber Herr Böhme
Ja, es stimmt, die Forderungen stammen von der Bundesassistentenkonferenz, einem Vorgänger der heutigen Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik und präsentierten damals schon eher Forderungen einer Gemeinschaft, die sich um Lehren und Lernen an der Hochschule vermehrt Gedanken macht. Im Bereich der „Schlüsselkompetenzen“ allerdings denke ich dass durch die Betonung der überfachlichen Kompetenzen im Bologna-Prozess durchaus Fortschritte gemacht wurden – inwieweit hier dann Universitäten zu Ausbildungsstätten der Wirtschaft werden, bleibt abzuwarten (und immer wieder kritisch zu hinterfragen).

Comments are closed.