Ich sitze auch an der Vorbereitung für ein neues Seminar zur Schul- und Unterrichtsforschung, in dem die Studierenden auch eigene Forschungsanteile haben. Aus dem letzten Semester habe ich in Erinnerung, dass es den Studierenden schwer fiel, eine Forschungsfrage zu finden – vermeintlich alles war doch schon erforscht, so die Meinung im Seminar.
Nun bin ich auf einen Artikel von Hans-Jörg Rheinberger gestoßen. Unter dem Titel „Ãœber die Kunst, das Unbekannte zu erforschen“ widmet er sich genau dieser Problematik, der Suche nach Neuem in der Wissenschaft und dem darin innewohnenden Moment des Handelns unter (scheinbarer) Zielfreiheit.
Er beginnt seinen Text mit einem Zitat aus der Kunstgeschichte:
„Jeder Künstler arbeitet im Dunkeln und wird nur von den Tunnels und Schächten früherer Werke geleitet, während er einer Ader folgt in der Hoffnung, auf eine Goldgrube zu stoßen. Zeitgleich aber  muss er fürchten, dass die Ader schon morgen ausgeschöpft sein kann“  (S. 1)
– für ihn, und ebenso für mich, ein Sinnbild auch wissenschaftlichen Handelns. Denn:
„Man kann das Forschen also als eine Suchbewegung charakterisieren, die sich aufs er Grenze zwischen Wissen und dem Nichtwissen bewegt. Das Grundproblem besteht darin, das man nicht genau weiß, was man nicht weiß“ (S. 3).
Obwohl er sich sehr auf die Biologie und damit auf die Naturwissenschaften bezieht, sind doch einige Hinweise auch gerade für die Sozialwissenschaften relevant, so beispielsweise die Beschränkung des Abstraktionsradius und die Notwendigkeit der Fokussierung auf einen Ausschnitt des Geschehens (S. 2). Interessant ist die Frage dann auch nach dem Experiment, das er als „Ãœberraschungsgenerator“ oder als „Maschine zur Herstellung von Zukunft“ beschreibt. Während hier der ein oder andere an quasi-experimentelle Designs in der Bildungswissenschaft denkt, ist aber aus meiner Perspektive auch das Design der Design-Based Research Forschung hier gut anknüpfbar.
Aber nicht nur das: Am Ende des Artikels bezieht er sich auch auf das Schreiben als wissenschaftlichem Suchprozess, denn er behauptet,
„Das Schreiben (…) ist selbst ein Experimentalstem. Es ist eine Versuchsanordnung. Es ist nicht nur ein Aufzeichnen von Daten, Tatbeständen oder Ideen. Es ist auch nicht einfach der billige Ersatz für die lebendige Rede. Es ist nicht einfach das transparente Medium der Gedanken. Es gibt ihnen eine materielle Verfassung und zwar eine, die da Entstehen von Neuem ermöglicht.“ (S. 5).
Hier sind zum einen auch „die anderen“ Wissenschaften gut anknüpfbar, und das Schreiben erhält im Forschungsprozess eine eigene Dignität und löst sich vom Gedanken des „nur noch schnell zusammenschreibens“.
Alles in allem also ein kurzer Text, der aber sehr prägnant einige Perspektiven auf die Forschungstätigkeit liefert – ich bin gespannt, wie die Auseinandersetzung damit im Wintersemester gelingt.
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Quelle: Rheinberger, H.-J. (2006). „Ãœber die Kunst, das Unbekannte zu erforschen“. Vortrag anlässlich der Preisverleihung der cogito foundation, Zürich.