Learntec 2009: ein vorzeitiger Rückblick

Viel Zeit hatte ich nicht mir die Learntec anzusehen, aber nach jahrelanger Abstinenz waren die Unterschiede doch sehr augenfällig. Neuer Ort – ja, so lange war ich schon nicht mehr da – und von den Leuten her …. sagen wir mal „sehr überschaubar“. Die Messe hingegen war wie gewohnt recht gross. Wie ich hörte wird eine „Anwesenheit von den Kunden erwartet“. Und so trifft man dann doch viele alte Bekannte wieder, was ja manchmal auch der Hauptzweck solcher Veranstaltungen ist.

Da es zunehmend möglich ist die Kontakte auch virtuell gut zu pflegen und sich über aktuelle Entwicklungen im E-Learning zu informieren, gehe ich eigentlich selten auf Tagungen und Kongresse. Zudem kommt man am Ende solcher Veranstaltungen nicht selten zu dem Schluss, dass es nichts Neues gibt oder doch nur einem neuen Hype hinterhergejagt wird. Mit dieser Erfahrungen war ich nun selbst konfrontiert, da ich freundlicher Weise die Gelegenheit bekommen habe, auf der Learntec einen Vortrag zu halten: Also etwas zu machen, was nicht „gähn“ ist und auch nicht (mehr) Hype.

Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen zum Einstatz von Web 2.0 an Universitäten und Unternehmen habe ich mich entschieden, die „Freiheiten“ zu thematisieren, die mit dem Einsatz dieser Technologien hier wie dort verbunden sind. Sind mit dem Web 2.0 denn auch neue Freiheiten an den Universitäten und Unternehmen entstanden? Oder ist das nur eine Hoffnung oder schon Realität? Und welche Relevanz hat das informelle E-Learing eigentlich? Dies waren einige Fragen von denen ich ausgegangen bin. Es ging mir also nicht nur um die Feststellung der „neuen Freiheiten“, sondern darum diese kritische zu hinterfragen.

Dabei wollte ich nicht nur Universitäten und Unternehmen getrennt betrachten, sondern auch auf die Zusammenhänge eingehen. Ist die Vision des Enterprise 2.0 vollkommen unabhängig davon, was Studierende in den Universitäten erleben? Oder prägen nicht gerade diese Erfahrungen und die dort erworbenen Kompetenzen den Umgang mit neuen Technologien? Ungeachtet aller Fragen der Medienkompetenz sind die Studierenden aktiver im Umgang mit Web 2.0 als der durchschnittliche Arbeitnehmer. Wie passen also die Gewohnheiten der Mitarbeiter 2.0 mit den Rahmenbedingungen der Unternehmen 1.0 zusammen?

Wie mir in der Vorbereitung des Vortrags immer deutlicher wurde, ist dieser Themenbereich sehr komplex und muss differenziert beantwortet werden. Nicht für alle Unternehmen und Fachrichtungen und nicht für alle Studierenden und Mitarbeiter ist das informelle Lernen mit digitalen Medien von gleicher Relevanz. Dies zeigt sich auch deutlich in der Einstellung der Unternehmen zu Web 2.0 Immerhin sagen 81% der mittelständischen Unternehmen in Deutschland, dass das Web 2.0 für sie kein Thema ist (hier). Auch wenn sich dies in Zukunft verändern wird, werden es doch vor allem die wissensintensiven Wirtschaftsbereiche sein, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Müssen, weil gerade in diesem Bereich schon aufgrund der Notwendigkeiten von Informationsbeschaffung und -management keine „formale“ Lösung greifen werden.

In ähnlicher Weise zeigt sich auch bei den Studierenden, dass das informelle Lernen im Web längst nicht für alle von Bedeutung ist. Dies hängt aber sicherlich auch mit der Einstellung der Hochschulen zu diesem Thema zusammen. Wären Rahmenbedingungen gegeben und der Wunsch nach einer stärkeren Verknüpfung formellen und informellen E-Learnings, gäbe es hierfür sicherlich ein grosses Potential. Schon jetzt zeigt sich unübersehbar, dass das Internet für die Studierenden eine grössere Bedeutung hat, als formale E-Learning-Angebote.

Auch ich habe nicht die Gabe in die Zukunft zu schauen und bin sehr gespannt, wie sich das Lernen in Universitäten und Unternehmen entwickeln wird. Dennoch wage ich die Prognose, dass vor allem für Unternehmen die Auseinandersetzung mit den informellen E-Learning notwendig sein wird; sei es weil die Mitarbeiter diese Anforderunge verstärkt mit in das Unternehmen bringen, die Arbeitsprozesse nur durch eine Ausweitung informeller Anteile (Freiheiten) überhaupt zu bewältigen sind oder die Mitarbeiter sich diese Freiheiten – soweit möglich – selbst nehmen. An der Universität sieht es ein wenig anders aus. Hier ist dieser „Zwang“ nicht in dem Masse gegeben, auch wenn der Gap zwischen der digitalisierten Freizeit der Studierenden und der (Lern)Realität der Universitäten Konfliktpotential birgt. Wie sich aber anhand der Statistiken zeigt, ist auch nicht alles für das Studium relevant, was in der Freizeit viel genutzt wird.

Abschliessend vielleicht noch die Bemerkung, dass ich interessante Parallelen zwischen dem Einfluss von Web 2.0 und den Forderungen der Digital Natives einerseits und der Diskussion zur Humanisierung der Arbeit andererseits sehe. Vielleicht ergibt sich nun durch das Web 2.0 eine neue Chance, Arbeit lernförderlicher zu gestalten. Ich bin gespannt.

Die Folien zum Vortrag auf der Learntec 2009

Comments

Danke für den interessanten Vortrag und für die vielen tollen Zitate!!! Bisher habe ich immer nur aus der Bildungsperspektive von Schule und Lehrerbildung draufgeguckt. Natürlich weiß ich, dass es gesamtgesellschaftlich nötig ist, von der Buchkultur zur Internetkultur/Wissensgesellschaft zu kommen. Aber die Wirtschaft wird wohl – wie alle historische Erfahrung zeigt – den Vorreiter machen müssen, wenn auch hier sowohl die Chancen als auch die Hürden offenbar am größten sind. Der vermutete Vortrag hinter den Folien macht klar, dass es nicht bloß um Anwendung von Technologie geht, sondern um eine umfassende Veränderung von Lernen und Arbeit, in der auch die Menschen in ihrem Verhalten anders werden.
Lisa Rosa

„Die ‚Millennials‘ … bringen die Technologie ins Unternehmen mit,
die sie auch privat überzeugt …Unternehmen riskieren, motivierten und qualifizierten Nachwuchs zu vergraulen, sollten sie dessen Erwartungen enttäuschen: 65 Prozent der befragten Schüler und Studenten sagen, für die Wahl ihres Arbeitgebers sei entscheidend, dass er ihnen State-of-the-art-
Technik zur Verfügung stelle.“

Interessant. An der Fachtagung von Electrosuisse vor ca. 3 Wochen zum Thema: Wissensmanagement wurde vom CKO PricewaterhouseCoopers diese These bestätigt. Mit über 155’000 Mitarbeitenden weltweit und einem Durchschnittsalter von 28 Jahren wäre es für diese Firma schlicht undenkbar Web 2.0-Tools zu verbieten. Im Gegenteil, man fördert diese Kultur sogar intensiv und baut auch die interne Kommunikation z.T. auf Web 2.0-Werkzeugen (z.B. XING) auf.

Zu sagen ist noch, dass diese Firma bei weitem nicht die einzige ist, die voll auf den sog. KnowledgeWorker 2.0 setzt:

Ich zitiere:

“KnowledgeWorker 2.0”
look like this:

– all over the organisation
– broad skills on a solid base
– not bound to one place
– connects with colleagues, peers and client
– community everywhere
– understands “the way we do things around here”
– uses many tools
– no particular age
– knowledgeable, interested, engaged, contributing
– shares and distributes information freely
– Require leadership

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