Lernen will gelernt sein

Ein interessanter Artikel zum Thema Zukunft des e-learning:

„Auf den Lernenden und seine Lernmethode maßgeschneiderte Lehrinhalte über das Netz zu vermitteln klingt phänomenal. Bloß haben die Verkünder des E-Learnings nicht bedacht, dass Lernende nicht immer zu den „early adoptern“ der IT-Szene zählen.

Die Idee, sangen die deutschen Pop-Buben Tocotronic einst, ist gut – aber die Welt noch nicht bereit. Und damit, meint Oliver Holle, träfen die Hamburger Musiker auch in seinem Metier voll ins Schwarze: Die Welt, erklärt Holle, tickt anders, als es mancher Entwickler gerne hätte. Und man könne, erklärt der Leiter des Researchstudios Smart Agents, eben mit der besten Idee nicht fordern, dass die Welt sich ihren Rahmenbedingungen gefälligst anpasst. Aber gerade in der IT-Szene sei es mitunter schwer, diese Binsenweisheit durchzusetzen: „Da müssen Hausaufgaben gemacht werden.“

Holle hat sie gemacht. Und orientiert sich längst vom reinen E-Learning-Markt weg. Hin zu anderen, mehr an der Basis verankerten Themen: „Die Bedürfnisse großer Firmen und Institutionen liegen oft immer noch darin, die interne Kommunikation und den Austausch zwischen Stabsstellen und Experten zu optimieren. Das haben viele noch nicht im Griff.“ Und erst wenn derartige Zores beseitigt seien, könne man „sich mit voller Kraft der Thematik des E-Learnings widmen.“ Wie gut die Idee ist, ist bekannt: E-Learning ist die dezentrale, individuell terminisierbare und auf Bedürfnisse, Lernmethoden und -zeiten des Users abgestimmte Vermittlung von Wissen über das Web. Prinzip: „Effizient erarbeiten statt Lektionen absitzen.“

Die Vorteile für Lehrende und Lernende liegen auf der Hand. Egal ob für Schulen, Universitäten, Verwaltungsbehörden, Unternehmen oder Communitynetzwerke: Auf eigenen Lernplattformen maßgeschneiderte Aus-, Weiter-und Fortbildungsmodule und -programme zu installieren, die zum einen multimedial und interaktiv das Erarbeiten von Inhalten ermöglichen und zum anderen vom Lehrenden oder Vortragenden ständig upgedated, modifiziert oder neu arrangiert werden können, klingt zu schön, um nicht als bildungspolitischer Traum zu gelten. Gerade in einer Gesellschaft, die sich „lebenslanges Lernen“ auf die Fahnen schreibt. Und: E-Learning kann funktionieren – zahlreiche amerikanische wie europäische Beispiele zeigen es. Pharmahersteller, Aufzugsbauer oder Fahrzeughersteller prahlten in den vergangen Jahren mit ihren zukunftsweisenden Versionen zum Thema.

Universitäten kooperierten mit aus dem Boden schießenden Software- und Content-Schmieden. Im „kleinen“, nicht kommerziellen Bereich haben Weblogs und Wikis längst auch Bildungsfunktionen übernommen – und Bildungspolitiker schwärmten sogar in Österreich – vor und nach Pisa – davon, wie und dass E-Learning die Bildungswelt revolutionieren würde.
Bloß – und das nur als kleine Anmerkung: Wie sieht es eigentlich an den Schulen und bei den Schülern daheim tatsächlich mit der Hardware und der Netzanbindung aus? Eben. Die Welt tickt halt anders – aber „Hype“ versteht heute jede Unterrichtsministerin.
Holle vergleicht den mit jener Jubelstimmung, die dem Zauberwort „Internet“ lange anhaftete: „Da glaubte man an das Web als eigenständigen Kommunikations- oder Marketingkanal – mittlerweile hat man erkannt, dass es sich als Teil eines integrierten Systems besser nutzen lässt.“
Und dass Monokulturen in Bereichen, in denen auch – oder vor allem – Nichtspezialisten mit für „early adopter“ simplen Gadgets arbeiten sollen, oft den gegenteiligen Effekt haben: „In den letzten zehn Jahren“, analysiert Theo Hug vom Innsbrucker Institut für Erziehungswissenschaften und Leiter des Researchstudios E-Learning Environments, „wurden so viele IT-Versprechen abgegeben, dass viele Firmen und Benutzer es Leid wurden, sich mit tatsächlich oft unausgereiften Lösungen auseinander zu setzen.“ Und nun, wo „gute, neue und elegante Lösungen verfügbar“ sind, müsse man eben vielfach verlorenes Terrain erst wieder gewinnen.“

(Hug: „Manche Schüler, die auf ihren Rechnern daheim etwa den Umgang mit Spielumgebungen, die sich auch in Lernprogrammen wiederfinden, längst gewohnt sind, tun sich mit Dingen leicht, die in jedem KMU schlicht unanwendbar sind“) viel stärker berücksichtigen: „Je alltäglicher die Nutzung verschiedenster Medien geht, umso leichter wird es, E-Learning in den Alltag zu transportieren.“ Zum einen durch die verstärkte Anwendung von mobilen, kostengünstig, leistungsstarken und für alle Nutzer verständlichen Endgeräten. Zum anderen aber durch die sinnvolle Kombination und Integration verschiedenster Medien. Hug: „Man muss formale und integrierte Lernprozesse verbinden. Da geht es um die Interaktion von kulturellen und technologischen Prozessen. Ãœber diese Dinge wird noch viel zu wenig nachgedacht.“ Aber das, betont der IT-Pädagoge, sei eine Lektion, die viele IT-Köpfe erst lernen müssten. Per E-Learning oder anders: „Technik als Selbstzweck steht oft sehr schnell sehr alt da – auch wenn sie ganz neu ist.
(Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 5. 2005)