Realtime-Illussion

Soeben bin ich auf meinem Desktop über folgenden Artikel gestolpert: Die Realtime-Illusion von Oliver Gassmann. Darin setzt sich der Autor kritisch mit der ständigen Verfügbarkeit über iPhone und Blackberry auseinander und zeigt die Folgen für Unternehmen auf:

Verfügbarkeitsfalle. Ein Unternehmen, bei dem ein Großteil des Managements der Realtime-Illusion verfallen ist, gleicht einem Hamsterrad, das sich immer schneller dreht. Die Mitarbeiter sind permanent verfügbar und haben zunächst den Eindruck, dass sie immer schneller arbeiten. In Wahrheit kommen sie kaum vorwärts.

Koordinationswut. Es wird deutlich mehr koordiniert als notwendig. Dies wird auch dadurch verursacht, dass Koordination durch Massen-E-Mail und Blackberry vermeintlich leicht geworden ist.

Schein-Parallelität. Die Mitarbeiter haben den Eindruck, sie seien multitaskingfähig und würden zunehmend Aufgaben gleichzeitig bearbeiten. Die moderne Hirnforschung hat uns aber gezeigt, dass unser Gehirn gar nicht zu echter Parallelverarbeitung in der Lage ist. Aufgaben werden sequenziell abgearbeitet. Dabei springt unser Gehirn in sehr kurzer Zeit zwischen den einzelnen Aufgaben hin und her, was uns den Eindruck von Parallelität vermittelt.

Qualitätseinbruch. Mit zunehmender Beantwortungsgeschwindigkeit steigt die Kommunikationsfrequenz, doch die Informationsqualität sinkt. Manche Blackberry-Korrespondenz erinnert eher an Chatforen von Teenagern als an professionellen Informationsaustausch.

Vollkasko-Mentalität. Die unzähligen Kopien an alle möglichen Beteiligten via „cc“ erfolgen unter dem Deckmantel der Wissensverbreitung. Dahinter stecken jedoch häufig persönliche Gründe: Mitarbeiter möchten sich mit der Information aller involvierten Personen absichern.

Verdrängung. Der frühere amerikanische Präsident Eisenhower unterschied Dringendes und Wichtiges. Problematisch sind weder die nicht dringenden, unwichtigen Aufgaben (Papierkorb) noch die dringenden, wichtigen Aufgaben (sofort selbst erledigen). Problematisch sind wichtige, aber aufschiebbare Aufgaben. Deren Bearbeitung wird immer wieder neu geplant und von unwichtigen, aber dringenden Aktivitäten verdrängt, die dank E-Mail, diktatorischem Eintrag in den Lotus-Notes-Kalender, Instant Messaging oder Blackberry ständig Vorrang haben. So wird die Führungskraft zu ihrem eigenen besten Sachbearbeiter.

Kreativitätsloch. Ruhephasen sind eine wichtige Quelle für Kreativität. Ständige Empfangsbereitschaft zerstört die Grundlagen für kreatives Arbeiten. Verhaltensforscher haben kürzlich ein Experiment durchgeführt, bei dem drei Gruppen eine anspruchsvolle Aufgabe lösen mussten. Die erste Gruppe konnte sich voll auf die Aufgabe konzentrieren, die zweite bekam alle zwei Minuten eine Instant Message, die sie bestätigen musste. Die dritte Gruppe konnte sich ebenfalls auf die Aufgabe konzentrieren, rauchte aber nebenher Joints. Das Resultat: Die „Kiffer“-Gruppe arbeitete produktiver als die zweite, die ständig durch Messages gestört wurde.

Substitution. Direkte Arbeit im Sinne des Problemlösens wird ersetzt durch Koordination. Probleme werden via E-Mail hin- und hergeschoben statt bewältigt.

Demotivation. Auf persönlicher Ebene entsteht ein empfundener Kontrollverlust über die Arbeit, der kurzfristig demotiviert und negativen Stress erzeugt.

Suchtsymptome. Langfristig fördern Suchtsymptome Burn-outs. Die Gruppe der „Crackberrys“ – Süchtige mit panischer Angst, vom Netz abgeschnitten zu sein – wird ständig größer. Inzwischen formieren sich erste Selbsthilfegruppen.

Sicherlich sind die ein oder anderen Folgen nicht für alle zutreffend, dennoch finde ich es spannend, welche Lösungsvorschläge er bietet. Vor allem den E-Mail-freien Freitag (analog zum Casual Friday) finde ich eine nette Idee 🙂