Studie | Beruf Hochschullehrer: zufrieden, aber innovationsarm in der Lehre?

Nun liegen sie vor, die Ergebnisse der Studie „Der Wandel des Hochschullehrerberufs im internationalen Vergleich“, der Prof. Teichler durchgeführt hat und die nun vom BMBF veröffentlicht wurden. Diese internationale Befragung zur Situation der Hochschullehrenden liefert interessante Ergebnisse. Einige dieser Ergebnisse möchte ich gerne in diesem Blogbeitrag festhalten und kommentieren resp. diskutieren.

Besonders spannend sind die Einschätzung von Zeit, die im Beruf aufgewendet werden. Rolf Schulmeister hat kürzlich in einer grossen Studie die Verteilung und Aufwendung von Zeit für Bachelor-Studierende untersucht (vgl. Schulmeister & Metzger, 2011). Nun ist es spannend zu schauen, wie sich Zeit und Zeitverteilung auf Seiten der Professorinnen und Professoren auswirkt. So konstatiert der BMBF-Bericht:

Im 9-Länder-Vergleich des wöchentlichen Arbeitseinsatzes während der Vorlesungszeit nennen die Professoren an deutschen Universitäten mit insgesamt durchschnittlich 56 Wochenstunden im Jahre 2007 den höchsten Wert. (S. 23)

Und für wissenschaftliche Mitarbeitende lässt sich feststellen

Die wöchentlich aufgewandte Arbeitszeit der wissenschaftlichen Mitarbeiter an deutschen Universitäten liegt 2007 im Durchschnitt bei etwa 40 Stunden. Angesichts der Tatsache, dass 31 % von ihnen teilzeitig beschäftigt sind, bedeutet dies ein halb so hohes Überragen des zeitlichen Aufwands über die übliche Arbeitszeit hinaus, als dies bei den Professoren an deutschen Universitäten der Fall ist. Im Gegensatz zu den Professoren ist bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern an deutschen Hochschulen die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit zurückgegangen; dies lässt sich etwa zur Hälfte daraus erklären, dass der Anteil der teilzeitlich Beschäftigten zugenommen hat. (S. 24)

Neben der reinen Häufigkeit ist natürlich interessant, für was die einzelnen Zeitfenster aufgewendet werden.

In der vorlesungsfreien Zeit verbringen die befragten Universitätsprofessoren etwa die Hälfte ihrer Zeit mit for- schungsbezogenen Aktivitäten und nur etwa ein Fünftel ihrer Zeit mit lehrbezogenen Aufgaben. Die Anteile variieren im Durchschnitt der einzelnen Länder bei der Forschung von 46 % bis 57 % (in Deutschland 49 %) und bei der Lehre von 8 % bis 23 % (in Deutschland 19 %). Für das gesamte Jahr lässt sich schätzen, dass in sieben der neun Länder der Zeitaufwand für die Forschung 1,1-mal bis 1,5-mal so groß ist wie derjenige für die Lehre. (S. 26, Hervorhebung M.S.)

Interessant ist die Zeitaufwendung bei wissenschaftlichen Mitarbeitenden. Hier kommt der Bericht zum Ergebniss:

In Deutschland, Finnland, Norwegen und Japan überwiegt auch in der Vorlesungszeit eindeutig die Forschung; in diesen vier Ländern sind die Lehrverpflichtungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs deutlich geringer als bei den Professoren; sie werden bis zur Ernennung der Professur klein gehalten, um ihnen vor allem über die Forschung die Qualifikation für die Professur zu ermöglichen. (…)
Im gesamten Jahr verwenden die wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Universitäten in Norwegen, Finnland und Deutschland etwa drei- bis viermal so viel Zeit für die Forschung wie für die Lehre.(S. 26)

Dieses Ergebnis spricht gegen die Beobachtung die ich in den letzten Jahren gemacht habe, dass die Lehre vor allem auf den wissenschaftlichen Nachwuchs abgegeben wird. Liegt hier eine Verzerrung in der alltäglichen Wahrnehmung vor? Oder anders gefragt: Stöhnt der wissenschaftliche Nachwuchs über zu viel Lehre, weil sie für ihn vielleicht weniger selbstverständlich und auch ein neues Aufgabenfeld ist? Zugegeben, dies sind alles Mittelwerte, aber dennoch sehr interessant, und ähnlich wie der Bericht Schulmeisters doch eher gegen die landläufige Meinung.

Doch wie sieht es nun aus mit der Einheit von Forschung und Lehre? Wo schlägt das Herz der Professoren? Sie wurden (erneut) gebeten einzuschätzen, woran sie mehr interessiert waren: „(a) primär an der Lehre, (b) an Forschung und Lehre mit stärkerer Neigung zur Lehre, (c) an Forschung und Lehre mit stärkerer Neigung zur Forschung und schließlich (d) primär an der Forschung“ (S. 33). Dabei sind die Ergebnisse ähnlich wie die in der Vorgängerstudie aus den 1990er Jahren:

Nur 5 % haben eine eindeutige Präferenz in der Lehre, und 20 % geben eine eindeutige Präferenz in der Forschung an. Von der klaren Mehrheit derjenigen, die die Einheit von Forschung und Lehre unterstreichen, äußern erneut mehr als doppelt so viele eine stärkere Neigung zur Forschung als zur Lehre. (S. 33)

Allerdings gäbe es leichte Verschiebungen im Vergleich, hin zu einer grösseren Betonung der Forschung in Deutschland, im Gegensatz zum umgekehrten Trend in Amerika beispielsweise.

Doch ein Befund erstaunt für Deutschland, wenn man sich die Frage nach den Lehraktivitäten anschaut:

Insgesamt ist bemerkenswert, dass die deutschen Befragten über die üblichen Präsenz-Lehrveranstaltungen hinaus eine vergleichsweise geringe Breite von unterschiedlichen weiteren lehrbezogenen bzw. lehrentwicklungsbezogenen Aktivitäten vorweisen, wie
• andere Formen von Studienangeboten und -programmen (Fernstudium, E-Learning und individuelle Unterrichtung),
• praxis- und anwendungsorientierte Lehr- und Lernformen (praktische Unterweisung in Labors o. Ä., Projektstudium),
• Kommunikation mit den Studierenden über die Lehrveranstaltungen hinaus (außerhalb von Lehrveranstaltungen, elektronisch) und
• Studienganggestaltung (Studiengangentwicklung, Entwicklung von Lehrmaterialien).
Die Lehrtätigkeit in Deutschland scheint demzufolge stärker als in den anderen betrachteten Ländern vom klassischen Lehren (und damit verbundenen Prüfen, das nicht im Fragebogen thematisiert wurde) bestimmt zu sein (S. 52, Hervorhebung M.S.).

Man sieht also deutliche Unterschiede im internationalen Vergleich, trotz der jahrelangen Massnahmen zur Förderung von aktivierender und mediengestützter Lehre. Im Fernstudium sind nur 1% der Professoren involviert, auch das Thema E-Learning ist kaum besser, hier wird den deutschen Hochschullehrern das Schlusslicht bescheinigt:

Die Beteiligung der deutschen Befragten an Aktivitäten des E-Learning und ähnlicher Lehr- und Lernformen ist ebenfalls bemerkenswert gering. Die Professoren an den Fachhochschulen (19 % im Vergleich einer Spanne von 17 % in den USA bis zu 65 % in Großbritannien), die wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Fachhochschulen (kein einziger im Vergleich 13 % in Norwegen bis 65 % in Finnland) und die wissenschaftlichen Mitarbeiter den Universitäten in Deutschland (12 % im Vergleich zu 14 % in Japan bis je 40 % in Australien und Großbritannien) bilden jeweils das Schlusslicht unter den hier zum Vergleich herangezogenen Ländern. Die Professoren an deutschen Universitäten liegen mit 20 % in dieser Hinsicht an drittletzter Stelle (…), bewegen sich damit aber ebenfalls klar unter dem internationalen Durchschnittswert, insbesondere unter den Werten aus Großbritannien (44 %) und Finnland (40 %).(ebd.; Hervorhebung M.S.)

Diese Ergebnisse sind durchaus alarmierend, wie auch der BMBF-Bericht auf S. 55 beurteilt. Deutsche Hochschullehrer rangieren bei innovativen Lehr-Lernformen, Studiengangsgestaltung oder auch der Kommunikation meist am Schluss im internationalen Vergleich. Und so kommt der Bericht zum Schluss:

Es scheint eher an Innovationsfreude in der Studienganggestaltung zu mangeln. In dieser Hinsicht wirkt der Hochschullehrerberuf in Deutschland – wie auch in Japan und Italien – traditionalistischer als in den nordeuropäischen und angelsächsischen Ländern. Selbst die allgemeine Zunahme von Aufgaben der Studien- gangumgestaltung durch den Bologna-Prozess und die daraus resultierenden Evaluierungs- und Evaluationsaktivitäten scheinen diese Fixierung auf herkömmliche Lehrformen nicht aufgehoben zu haben. (S. 55, Hervorhebung M.S.)

Eigentlich ein erschreckender Befund. Man muss beachten, dass die Ergebnisse aus den Jahre 2007 und 2008 stammen, jedoch hat man auch schon zu dieser Zeit massiv an Lehrfragen, nicht zuletzt ausgelöst durch technische Entwicklungen und Bologna diskutiert. Allerdings mit wenig Wirkung, wie die Studie zeigt. Auch ist das Verständnis von Professionalität in der Lehre in angelsächsischen Ländern ausgeprägter als in Deutschland (S. 64).

Neben diesem für mich explosiven Befund ist für mich das Kapitel zur Einstellung der Hochschullehrer gegenüber der Wissenschaft als Beruf interessant gewesen. Während originäre Forschungsarbeit grob vereinfachend gesagt allen Professoren wichtig ist, zeigen sich Unterschiede bei der Wichtigkeit des Anwendungsbezugs der Wissenschaft und eine Übertragung auf Gesellschaft:

Den Anwendungsbezug der Wissenschaft unterstreichen am stärksten die Universitätsprofessoren aus den USA (81 %). Ihre Kollegen in Deutschland (62 %) äußern sich hierzu nach den Professoren in Italien (57 %) und Norwegen (59 %) am wenigsten zustimmend. Die Übertragung auf gesellschaftliche Problemlösungen wird von Universitätsprofessoren in Portugal (73 %) am häufigsten als wichtig angesehen, dagegen von ihren Kollegen in Norwegen (50 %) am seltensten. Bei den anderen Ländern beiträgt der entsprechende Wert zwischen 61 % (Deutschland) und 67 % (Australien). Die wissenschaftlichen Mitarbeiter an Universitäten sehen die Aufgaben der Wissenschaft im Großen und Ganzen ähnlich wie die Universitätsprofessoren (S. 41/42).

Dabei zeigt sich, dass der Unterschied zwischen den Arten von Hochschulen (Fachhochschulen und Universitäten) erstaunlich gering ist (vgl. S. 42), aber Praxisorientierung von Lehre und Studium eine grosse Rolle spielt (S. 61). Hier gibt es offensichtlich Differenzen zwischen den Bereichen Forschung und Lehre.

Was bleibt von der Studie in einer ersten Zusammenfassung? Sie zeichnet ein umfassendes Bild aller relevanten Bereiche des Berufs Hochschullehrer im internationalen Vergleich. So finden sich weitere vertiefende Kapitel beispielsweise zur Forschung, Drittmittelorientierung, Management und Hochschulverwaltung, aber auch auf Publikationsmechanismen, auf die hier im Moment nicht vertieft eingegangen werden kann. So zeigt sich beispielsweise, dass deutsche Forschende vor allem bei den Publikationen neben den Monographien deutlich zugenommen haben, so dass sie zur Spitzengruppe gehören. Interessant vor allem noch folgender Hinweis:

Die häufigste Publikationsform stellt in fast allen betrachteten Ländern das Verfassen wissenschaftlicher Artikel für Fachzeitschriften oder Bücher dar. Dabei ist eine sehr hohe Zunahme bei den Universitätsprofessoren in Deutschland festzustellen: Von früher durchschnittlich 9,2 auf nunmehr 15,4 innerhalb von drei Jahren; bei der Befragung von 2007 ist das international die höchste Zahl.

Doch selbstkritisch stellt sich der Bericht auch der Frage, ob dies nun wirklich eine Zunahme an wissenschaftlichem Erkenntnisprozess oder lediglich eine Mode ist. Eine Frage, die hier sicherlich nicht abschliessend gestellt ist. Jedenfalls ist der Bericht ein Fundus für jeden, der sich über den Beruf des Hochschullehrers informieren möchte.

Comments

Hallo Mandy,

das ist wirklich eine spannende Studie. Ergänzend interessant sind noch die Befunde zur besonderen Organisationsstruktur von Universitäten und Hochschulen und – damit einhergehend – den Identifikationspotenzialen des Wissenschaftlers als Mitarbeiter mit seinem Arbeitgeber Hochschule. So nimmt die Identifikation mit der Organisation eher ab als zu – durchaus erstaunlich, wenn man überlegt, wie viele Mittel inzwischen in Wissenschaftskommuniktion und -marketing fließen.

Liebe Grüße,

Sandra

Ich denke, es sind auch vor allem Hinweise, die in Zusammenhang zu Pellerts Konzept der Universität als Expertenorganisation stehen. Wichtig ist für Wissenschaftler halt nicht die eigene Universität, sondern die Fachcommunity 😉

Aus meiner Sicht könnte man hier noch einen Schritt weitergehen: Bemühungen um eine Corporate Identity werden – Stand heute – an der Universität nicht fruchten. Es gilt insofern intelligente (neue) Lösungen zu finden, die Ergebnisse aus der Wissenschaft auf der einen Seite einem breiten Publikum zugänglich machen, auf der anderen Seite aber die besondere Rolle der Person (des Experten) in der Organisation wertschätzen. Aktuelle Bemühungen vernachlässigen diese organisationalen Besonderheiten meiner Ansicht nach massiv, was bis heute stark an der platten Ãœbertragung unternehmensnaher Konzepte liegt.

Liebe Grüße,

Sandra

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