Workshop-Rückblick | Forschungsorientiertes Lehren und Lernen an den Hochschultagen Berufliche Bildung

Endlich komme ich dazu, unseren Besuch auf den Hochschultagen Berufliche Bildung zusammenzufassen (manchmal ist eine längere Pause zur Reflexion dieser ja auch zuträglich). Eigentlich ist dies nicht ganz „meine“ Community, allerdings hatten wir aus FideS heraus eine sehr nette Einladung von Nicole Naeve-Stoß und Tade Tramm, uns am Workshop zum Thema „Professionalisierung in der wirtschaftspädagogischen Lehrer*innenaus- und -fortbildung durch forschendes und reflexives Lernen“ zu beteiligen.
In der Ankündigung des Workshops wurde die Intention wie folgt zusammengefasst:

„Das zentrale Ziel der Lehrerbildung ist es, die Entwicklung einer wissenschaftlich fundierten Professionalität zu unterstützen, die in einem reflektierten Handeln in komplexen, deutungsbedürftigen und nicht standardisierbaren pädagogischen Situationen zum Ausdruck kommt. Angesichts dieser Zielsetzung sollte das Studium für Berufs- und Wirtschaftspädagog/innen darauf abzielen, die Entwicklung einer (selbst-)kritisch-experimentellen Haltung und eines forschenden Habitus sowie die Bereitschaft zu reflexiver Praxis zu fördern. Dazu können insbesondere schulische Praxisphasen einen Beitrag leisten. Eine zentrale Herausforderung besteht allerdings darin, diese Studienelemente derart zu konzipieren und durchzuführen, dass reflexive und (er)forschende Lernprozesse von Studierenden in Gang gesetzt, begleitet und unterstützt werden. In dem Workshop wollen wir uns mit eben dieser Herausforderung auseinandersetzen und dabei unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen. Es soll darum gehen, dass

  • verschiedene Konzeptionen von Praxissemestern vorgestellt werden, die in den letzten Jahren an unterschiedlichen universitären Standorten entwickelt wurden. Der Schwerpunkt wird darauf liegen, einen Einblick dahingehend zu erhalten, wie reflexive und forschende Lernprozesse von Studierenden an den unterschiedlichen Standorten angeregt, begleitet und unterstützt werden;
  • die Beteiligten zu Wort kommen, also die Studierenden, die Mentorinnen und Mentoren und auch die beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus der Universität und dem Studienseminar, um zu erfahren, wie sie aus ihrer jeweiligen Perspektive schulische Praxisphasen erleben, welche Erfahrungen sie gemacht haben und welche Chancen und Herausforderungen sie sehen;
  • wir gemeinsam Ansatzpunkte und Ideen für die Weiterentwicklung dieser bedeutsamen Studienelemente generieren.“

Und ich würde sagen, dieses Ziel hat der Workshop erreicht. Insbesondere die Diskussion über verschiedene Modelle der Gestaltung sowie die unterschiedlichen Perspektiven (Schule, Studienseminar, Hochschule) auf Lehrer*innenbildung habe ich als sehr fruchtbar erlebt. Doch ein Schritt nach dem anderen.

Eröffnet hat Tade Tramm den Workshop mit den Ringelnatz’schen Ameisen, wobei ihm insbesondere der letzte Absatz wichtig war:

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.
So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.

Und so ähnlich, so seine Argumentation, wäre es mit dem Praxisbezug in der Lehrer*innenbildung, und ich würde noch weitergehen, auch mit der Forschungsorientierung. Und das ist nicht nur auf die Konzepte an sich bezogen, sondern auch und insbesondere auf Rahmenbedingungen und Gestaltungsperspektiven. Denn es wurde ziemlich schnell deutlich: die Umsetzung des Praxissemesters ist anspruchsvoll, sowohl hinsichtlich der curricularen Einbindung als auch der Lehr-Lernformen. Der Fokus im Workshop lag auf reflexivem und forschendem Lernen, also zwei Lernformen, die auch seit mehreren Jahren in meinem Interesse stehen. Klammer um den Workshop war ein Gestaltungsinteresse aller und der Wunsch einer theoretischen Reflexion insbesondere für die Lehrer*innenbildung.

Eine Zusammenfassung der vielen Diskussionen an den zwei Tagen fällt schwer, so dass ich exemplarisch nur auf einige Punkte eingehen möchte, die mir auch über einen längeren Zeitraum hinweg im Kopf geblieben sind:

a) Inhaltlich herausfordernd ist und bleibt der Theoriebezug und die Reflexion in forschungsorientierten Veranstaltungen, die curriculare Verankerung und die Prüfungsformen. Das bestätigten alle Beteiligten, sowohl die Lehrenden als auch die Studierenden. Dementsprechend ist es notwendig, hier ein besonderes Augenmerk auf die Reflexion der eigenen Praxis zu legen, dass dann eben nicht die letzten Zeilen des Gedichts zutreffen „So will man oft und kann doch nicht – Und leistet dann recht gern Verzicht“

b) Lange diskutiert haben wir über die Besonderheit der Lehrer*innenbildung bezüglich der Forschungsorientierung, ein Punkt, der uns im Teilprojekt in FideS ja auch immer wieder beschäftigt. Denn es geht zwar um „Forschen lernen“, aber auch, zumindest so habe ich viele Beiträge wahrgenommen, insbesondere in der Lehrer*innenbildung um Persönlichkeitsentwicklung und das Bewältigen von Entwicklungsaufgaben. Und hierfür scheint forschendes Lernen mit spezifischer Komponente der Lehrer*innenbildung eine Möglichkeit, weswegen Forschungsorientierung vielfältig sichtbar sein sollte. Hier waren sich alle einig: nicht nur das eine und eigene Forschungsprojekt, sondern viele Formen und Formate. Es geht darum, eine Idee zu bekommen, was Forschung ist und das Verhältnis von Subjekt zu Institution zu klären. Daher war Konsens, dass es insbesondere in der Lehrer*innenbildung darum geht, nachmachen zu hinterfragen und ‚zu unterrichten‘ statt ‚classroom management‘ zu betreiben. Diese Kritik an gängigen Konzepten, die vor allem unter kompetenztheoretischer Perspektive konturiert werden, machte Tade Tramm schön deutlich, indem er zum einen klar machte, dass es darum ginge, Unterricht zu lesen und zu verstehen. Dementsprechend kritisch fielen auch Betrachtungen aktueller hochschulpolitischer Bestrebungen (nicht nur in der Lehrer*innenbildung) aus: Lehre und Lehrer*innenbildung hat meist keinen großen Stellenwert an Universitäten, wenn es um Exzellenz ginge, die Qualitätsoffensive Lehrer*innenbildung wirke hier eher kontraproduktiv, da sie bestehende Ansätze nicht gut integriere, sondern mit Projektförderungen eher neues initiiert.

c) Dankbar war ich, dass wir in diesem Zusammenhang auch nochmals kritisch über die Rolle des (Schul-)Praktikum diskutiert haben und dezidiert darauf hingewiesen wurde, nicht Praxisorientierung und Praktikum miteinander zu vermengen, indem man sich in der Ausgestaltung des Praktikums an schulischen Notwendigkeiten orientiert wird. (Da fiel mir auch wieder das Praktikums-Dossier der AfH ein 😉 ) Aber ich denke, hier liegt ein wichtiger Punkt in der Frage, was Praxis eigentlich ist, insbesondere in professionsorientierten Studiengängen. Wie wir im Poster in Koblenz letztes Jahr schon deutlich machten, gilt es in der Lehrer*innenbildung, das Praktikum, egal ob lang oder kurz gestaltet, als Teil des akademischen Studiums zu betrachten. Es geht darin nicht, wie viele Studierende immer wieder fordern darum, unterrichten zu lernen, sondern Praxis zu reflektieren, oder wie es so schön im Workshop hieß, es Studierenden zu ermöglichen, nach dem Praktikum „anders über Unterricht sprechen zu lernen, Unterricht zu lesen und zu verstehen“. Dementsprechend wurde durch die anwesenden Vertreter*innen auch die Rolle der Praktikanten in der Schule unterschieden von denen der Referendar*innen: Sie werden als Impuls für Schulentwicklung und Lehrer*innenfortbildung gesehen. Und zwar darum, weil sie – im Gegensatz zu Referendar*innen – sich als „bewertungsfrei“ sehen, d.h. experimentierfreudig und offen seien, so die Stimmen aus der Schule. Diese Rückmeldung gibt mir zu denken, denn es heißt im Umkehrschluss, dass das Referendariat dies nicht leisten kann. Hier liegt noch einiges an Forschungspotenzial.

d) Auch angeregt durch unseren, unter Perspektive von Hochschuldidaktik geframten Input wurde die Rolle von Studiengangsentwicklung nochmals deutlich: Die Frage ist, wie Forschungsorientierung nicht nur durch ein Forschungsprojekt, sondern kohärent entwickelt werden kann. Denn wie Tade Tramm sagte, als er das Hamburger Modell des Kernpraktikums vorstellte: gute Forschung fällt nicht vom Himmel. Die Studienganggestaltung ist aber in der Lehrer*innenbildung besonders anspruchsvoll, müssen hier doch unterschiedliche Fächer, aber auch unterschiedliche Institutionen miteinander kooperieren bzw. koordiniert werden. Gerade das Paderborner Modell wies auf praktische Schwierigkeiten diesbezüglich hin.

e) Die Verbindung und gegenseitige Bezugnahme von Reflexion und forschungsorientiertem Lehren und Lernen haben wir nur am Rand diskutiert, aber ich habe – unter anderem auch durch die Praxisbeispiele – einen Einblick bekommen, wie andere Studiengänge genau diese Herausforderung bearbeiten. Instrumente waren hier auch klassischerweise (E-)Portfolios (Modell) und Modelle zur Unterstützung (Bsp. ), aber curriculare Formate wie sog. Reflexionsbänder (Info  / Info) als Form kontinuierlicher Begleitung des studentischen Arbeitens und Forschens in der Schule, welches dann nah an den Themen, die Studierende einbringen, gestaltet wird.

Und last, but noch least zeigte mir der Workshop nochmals, dass es noch mehr Personen mit einem Interesse an Gestaltung und Gestaltungsfragen gibt, als einem manchmal so klar ist (vielleicht fühle ich mich nur an einer TU mit ihren Forschungsverständnissen auch diesbezüglich immer als Exot 😉

Jedenfalls haben wir mit unserem Vortrag, ausgehend aus FideS und unter einer hochschuldidaktischen Brille nochmals einen Input zu Forschungsorientierung in der Lehrer*innenbildung gegeben und in diesem auch für eine analytische Trennung beider Bereiche – i.S. eines Kippbildes – geworben. Denn es bringt aus unserer Perspektive durchaus Potenzial, durch das forschende Schulpraktikum einen dritten Raum aufzuspannen, aber dieser muss in seiner Bedeutung klar sein: Forschung und unterrichtende Schulpraxis gleichzeitig ist aus unserer Perspektive, basierend auf den empirischen Ergebnissen aus FideS schwierig. Wie beim Kippbild kann man immer nur eines davon betrachten, obwohl im forschenden Schulpraktikum beides relevant ist. Diesen Blick mit Studierenden zu lernen ist eine Herausforderung für sich. Jedenfalls zeigte der Workshop nochmals deutlich, dass sich die Diskussionen um die hochschuldidaktische Gestaltung von Lehrer*innenbildung lohnen – und das ausdrücklich in der Kombination von allen Beteiligten.

Vielen Dank nochmals nach Hamburg und Köln für die Einladung!