Wow! New Way(s) of Scientific Publishing!

Vor ein paar Wochen habe wir Abends darüber diskutiert, wie wissenschaftliche Artikel aussehen könnten, die die neuen Möglichkeiten des Web nutzen. Zwar stehen durch die Open Access-Initiative immer mehr Paper im Web, meist jedoch in klassicher Form zur Ausdruck als PDF. Einzig und allein die direkte Verlinkung zu referenzierten Online-Artikeln oder Verlinkungen zwischen Zitationsangaben im Text und Literatur begegnen einem noch relativ häufig. Angesichts der Tatsache, dass bereits in der Belletristik Verlinkungen im Text zu finden sind (an dieser Stelle der Hinweise auf „Lucy Luder“ von Oliver Bendel), erschien mir das doch wenig innovativ. Daher keimte in mir auch die Idee, mal ein Beispiel dafür zu entwickeln, wie ein „wissenschaftlicher Artikel der Zukunft“ aussehen könnte.

Und wie es dann manchmal so ist: diese Idee liegt wohl auf der Hand und so bin ich heute über einen Beitrag von Brandon Hall Research auf ein Projekt von Cell Press and Elsevier mit dem Titel „Article of the Future“ gestossen, das zum Ziel hat:

… to take full advantage of online capabilities, allowing readers individualized entry points and routes through the content, while using the latest advances in visualization techniques.

Also genau das, was ich mir vorgestellt habe. Als ersten Schritt wurden zwei Prototypen entwickelt (http://beta.cell.com/erickson/ und http://beta.cell.com/hochstim/), zu denen man sich Feedback aus der Community wünscht. Und ich muss sagen: WOW, WOW, WOW!!! Genauso habe ich mir das vorgestellt. Besonder gut haben mir die Verlinkungen aus den Bildern auf einzelne Textpassagen gefallen. So hat man in einer Grafik den Ãœberblick über den beschriebenen Prozess und kann sich so – wie man es mag – durch den Text arbeiten.

KEY FEATURES OF THE PROTOTYPES:

  • A hierarchical presentation of text and figures so that readers can elect to drill down through the layers of content based on their level of expertise and interest. This organizational structure is a significant departure from the linear-based organization of a traditional print-based article in incorporating the core text and supplemental material within a single unified structure.
  • A graphical abstract allows readers to quickly gain an understanding of the main take-home message of the paper. The graphical abstract is intended to encourage browsing, promote interdisciplinary scholarship and help readers identify more quickly which papers are most relevant to their research interests.
  • Research highlights provide a bulleted list of the key results of the article.
  • Author-Affiliation highlighting makes it easy to see an author’s affiliations and all authors from the same affiliation.
  • A figure that contains clickable areas so that it can be used as a navigation mechanism to directly access specific sub-sections of the results and figures.
  • Integrated audio and video let authors present the context of their article via an interview or video presentation and allow animations to be displayed more effectively.
  • The Experimental Procedures section contains alternate views allowing readers to see a summary or the full details necessary to replicate the experiment.
  • A new approach to displaying figures allows the reader to identify quickly which figures they are interested in and then drill down through related supplemental figures. All supplemental figures are displayed individually and directly linked to the main figure to which they are related.
  • Real-time reference analyses provide a rich environment to explore the content of the article via the list of citations.

Die key features geben nur einen Eindruck und man sollte sich mal durch die Artikel klicken. Also ich bin wirklich begeistert von dem, was dort gemacht wurde. Aber natürlich sollte man auch hier ein paar kritische Fragen stellen: Wie für Pilotprojekte typisch sind hier die Rahmenbedingungen auch besonders gut. Solche Grafiken wird wohl kaum ein Wissenschaftler allein erstellen können – und bezahlbar sind sie für den Otto-Normal-Forscher wohl auch nicht. Aber es wird zumindest mal gezeigt, was möglich ist. Die Beispiele stammen aus Medizin und Biologie. In diesem Bereich geht es oft um Vorgänge, die auch gut visualiert werden können. Aber wie sieht es in den Geistes- und Sozialwissenschaften aus? Die Möglichkeiten sind hier zumindest eingeschränkter bzw. die Anforderungen höher. Aber wiederum: es muss ja auch nicht alles umgesetzt werden und die Visualisierung ist nur ein Aspekt. Spannend sind natürlich auch die zahlreichen Verlinkungen zu anderen relevanten Artikeln, anderen Artikeln der Autoren und ihren persönlichen Webseiten und und und. Was natürlich nicht fehlen darf sind die Möglichkeiten für Feedback und Diskussion. Hier sehe  ich aber noch am meisten Potenzial.

Fraglich ist für mich, welche Auswirkungen solche Textgestaltungen auf das wissenschaftliche Schreiben haben werden. Wird durch den konsequenten Wechsel vom Linaren und Vernetzten das Schreiben einfacher, weil keine künstliche Abfolge geschaffen werden muss? Werden die Anforderungen an das wissenschaftliche Schreiben (und die didaktische Gestaltung) höher? Wird es einfacher, die Inhalte der Texte zu verstehen? Vieles scheint mir unklar und notwendig zu bedenken. In jedem Fall finde ich es wichtig – zumindest für den Ãœbergang, bis auch die sonstige Forschungsumgebung sich diesem Stand(ard) angepasst hat  – dass die Texte auch noch als PDF-Download zur Verfügung stehen. Aber ich bin mir schon jetzt sicher, dass dies die Richtung ist, in der zukünftig publiziert wird.

Comments

Der verlinkte Artikel „A Dynamic Pathway for Calcium-Independent Activation of CaMKII by Methionine Oxidation“ zeigt sehr schön die interaktiven Möglichkeiten.
Anstatt Querverweise gibt es jetzt Links und selbst Filmdokumentationen und 3D Ansichten können mit eingebunden werden. Es ist beinahe wortwörtlich „atemberaubend“ wie viel Wissen man dadurch auf einmal konsumieren kann. Das einzige Manko durch den schnellen Vortschritt verlernt man Geduld, Beharrlichkeit und Konzentrationsvermögen da man jetzt alles so schnell wie Möglich auf dem Silbertablett präsentiert bekommt…

Und natürlich haben die Amerikaner das schon viel früher erfunden:

http://kairos.technorhetoric.net/index.html

Im amerikanischen Schreibunterricht (es gibt keine gute Ãœbersetzung für „composition teaching“), gibt es im Moment die Hinwendung zum Einsatz von Multimedia in jeglicher Form, klassische Essays sind sowas von altmodisch. Wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es sich nicht doch lohnt, tatsächlich _schreiben_ zu lernen, um dann mit Flash oder Twitter oder XHTML zu spielen. Jedenfalls veröffentlicht Kairos schon seit einigen Jahren wissenschaftliche Beiträge in eher ungewöhnlichen Formen, während „Computers and Composition“ die eher seriöse oder altmodische (je nach Sichtweise) Schwester ist:

http://www.elsevier.com/wps/product/cws_home/620371

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