Informelles E-Learning

Am Montag abend war ich auf einer Veranstaltung vom E-Learning Center der Universität mit dem Titel «Informelles E-Learning». Dazu hiess es in der Einladung:

Informelles Lernen beschreibt Lernprozesse ausserhalb organisierten Lernens. Das Internet spielt dabei eine besondere Rolle, da es nicht nur eine unüberschaubare Fülle von Informationen bereithält, sondern auch die vielfältigsten Kontaktmöglichkeiten bietet.

Studierende nutzen das Internet in vielfältiger Weise als „Lernraum“, zur Informationsbeschaffung (für Vorträge), Informationsverbreitung (www.hausarbeiten.de), zum Austausch (z. B. www.studivz.net), und zur Bewertung von Lehrveranstaltungen (z. B. www.meinprof.ch). Es stellt sich daher die Frage, ob sich im Internet neben dem Studium – unbeeindruckt von hochschulpolitischen Entscheidungen und didaktischen Gestaltungsansprüchen – eine zweite Lernwelt
etabliert hat.

In dieser Topic-Veranstaltung wollen wir einen Überblick über das Thema „Informelles E-Learning“ geben und der Frage nachgehen, welche Bedeutung das informelle E-Learning für das Lehren und Lernen an der Universität
hat und welche Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten bestehen.

Zu dieser Veranstaltung waren unterschiedliche Experten geladen, die ihre Sicht auf das informelle Lernen dargelegt haben. Einen ersten Aufschlag machte Prof. Dr. Gonon, der über den historischen Blick auf das informelle Lernen referierte. Hier die Gliederung seines Referates:

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Dabei ging er stark auf den Wandel des Lernbegriffs im Laufe der Geschichte ein: während Lernen historisch gesehen lebensweltich eingegrenzt war, verfliessen diese Grenzen durch ganz unterschiedliche Entwicklungen: Globalisierung, Technologien usw. Heute tritt viel mehr die selbstorganisierte Aneignung von Wissen und damit die Selbstorganisationsdisposition der Individuen in den Vordergrund, die nun formell oder informell geschehen kann.

Spannend war für mich, dass Prof. Gonon dem Bologna-Prozess auch gute Seiten für das informelle Lernen abgewinnen kann (das hätte ich so nicht erwartet): er sieht den Bologna Prozess an Universitäten von zwei Seiten: einmal kann es zu einer Taylorisierung des Lernens und zum befürchteten Punktesammeln kommen, auf der anderen Seite ist für das informelle Lernen aber gerade der Bezug zum Workload und die Employability als Zielpunkt neue Chancen für informelle Lernprozesse.

Auch hier durfte der Begriff der Net Generation nicht fehlen, der aber im Laufe des Seminars noch mehrmals kritisch eingeordnet wurde. Gonon betonte, das es jüngeren Studierenden oft einfacher falle, Wissen zu mobilisieren, wirksames nachhaltiges Lernen benötige aber einen reflexiven Zugang, und dieser sei immer noch sehr traditionell (sich vertiefen in eine Lektüre, selbst Gedanken machen, usw.). Dies sollte an den Universitäten verstärkt werden.

Zur Verdeutlichung zeigte er folgende Folie:

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(zum Vergössern anklicken)

Seiner Meinung nach braucht es zu eine Verbindung von informellem und formellem Lernen (rechte Spalte): der aktiv erkundende Lerner, der selbstständige Forscher und das explorative Lernen sollten Ziele einer Hochschulbildung sein. Bei diesem Punkt, nämlich explorativem Lernen entbrannte dann auch die Diskussion um Zertifizierung und Prüfung, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Veranstaltung zog.

Sandra Schaffert referierte über informelles E-Learning. Dazu stellte sie 6 (virtuelle) Studierende vor, die alle informell mit Medien lernen. Somit lernte man ganz nebenbei noch ein paar Web 2.0-Anwendungen kennen. Spannend fand ich folgende Auflistung:

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(zum Vergrössern anklicken)

Schnell kam man hier auch wieder auf die Net Generation und das gesamte Bündel der „Informationskompetenz“ zu sprechen. Sandra Schaffert räumte am Schluss nochmals mit Mythen auf: Sind Studierende, die verschiedene Web 2.0 Applikationen zum informellen Lernen einsetzen, wirklich medienkompenter? Dies widerlegte sie mit der Veröffentlichung von Rolf Schulmeister (hier). Diese Haben diese andere Anforderungen an die Lehre? Hier zitierte sie unter anderem eine Studie von Franklin & van Harmelem, 2007: Studierenden ist das Medium in der Lehre relativ egal, sie wollen vor allem gute Lehre und somit auch Lernerfolge.

Wichtig, um informelles Lernen in Hochschulen zu fördern, sei vor allem die Entwicklung von Lernkompetenz, die Berücksichtigung der Lebenswelt bzw. -realität und die Partizipation bzw. Kollaboration. Hier entbrannte die Diskussion, inwieweit Universitäten wirklich für die Entwicklung von Lernkompetenzen für das informelle Lernen (z.B. Informationsrecherche) zuständig sind. Sollten Studierende dies nicht besser informell lernen? Die Vermittlung von Lernkompetenzen (z.B. Selbstorganisationsfähigkeit, die wichtig ist für informelles Lernen) sei nicht die Aufgabe von Universitäten. Wenn sie schon nicht mehr in die Vorlesung gingen, sei dies auch eine Aufgabe, die sie selbstständig im Hochschulstudium erwerben sollten, so die Meinung der einen Hälfte. Die andere Hälfte hielt natürlich dagegen, vor allem z.B. Informationskompetenz sollte vermittelt werden, diese entwickle sich nicht einfach von selbst. Hier kamen die Diskutanten auch zu keinem einheitlichen Schluss (vielleicht entwickelt sich ja hier die Diskussion noch weiter 😉 ).

Doch wie kann man nun informelles Lernen an Universitäten fördern? Ziel einer Universität, die informelles Lernen fördern möchte, sollte nach Ansicht der Referenten das Ermöglichen von unterschiedlichen Lernprozessen sein. Studierende müssen erfahrungsgeleitet und situativ lernen können, diese Lernformen müssen durch Studierende erfahren werden. Nur aus dieser Erfahrung kann man Lernen. Dabei geht es nicht um ein „Lernbuffet mit Wellness-Charakter“, wie es Prof. Gonon so schön ausdrückte, sondern um vielfälige Lernmöglichkeiten, nicht nur Vorlesung und Seminar.

Mein Fazit der Veranstaltung: Ich fand es eine sehr gelungene Veranstaltung, die viel Platz für Diskussion liess. Somit wurde das informelle Lernen, das an Hochschulen stattfindet, auch sichtbar. Spannend waren für mich die unterschiedlichen Meinungen der Teilnehmenden über das Thema, sei es nun informelles Lernen mit Medien oder Meinungen zur Informationskompetenz und deren Auswirkungen auf Schulen und Hochschulen. Die Frage ist für mich immer noch, was Lehrende genau tun können, um auch informelles Lernen zu fördern. Denn hier stösst man schnell auch an die Grenzen, wenn man informelles Lernen zu stark beeinflussen und formalisieren möchte. Wie Oliver Bendel so schön sagte: „Informelles Lernen beruht auf gegenseitigem Vertrauen“. Vielleicht ist die Vertrauensfrage hier die richtige: inwieweit vertrauen Lehrende ihren Lernenden, dass diese sich Dinge auch selbst aneignen. Und inwieweit kann und möchte man die Lernenden auch eigenverantwortliche Erfahrungen machen lassen? Wie passen solche Konzepte zur eigenen Vorstellung von universitärer Lehre? Hier gibt es für mich noch einige offene Fragen.

Eine Zusammenfassung der Organisatoren erscheint demnächst hier. Wer mehr Informationen zum informellen Lernen in unterschiedlichsten Bereichen erfahren möchte, dem sei die Website www.informelles-lernen.de und deren Blog ans Herz gelegt.

update 29. Mai 2005

Die Folien von Sandra Schaffert und ihr Resümee der Verantaltung finden Sie hier.

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Zur Zeit entwickeln wir in unserem Projekt „game based evideo“ lernszenarien mit web 2.0 , evideo und auf der grundlage von game bases learning. Dabei treiben uns auch immer wieder die Fragen: Wie sieht es aus Sicht des Lerners aus? Wie lässt sich aus den Web 2.0 Tools eine Personal Learning Environment entwicklen, so dass es eine Grundlage für lebenslanges Lernen ist? und so weiter und sofort… Jede Menge Fragen …Darum vielen Dank für die vielen Information 🙂 Hilft weiter.

Gr. evideom

Hallo

Ihr Projekt klingt sehr spannend. Gibt es denn mehr Informationen schon darüber?

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