Net Generation 2.0 – die zweite

Nun habe ich es endlich geschafft, den überarbeiteten Artikel von Rolf Schulmeister zu lesen und möchte einige Anmerkungen bzw. Gedanken mal hier zu Papier zum Bildschirm bringen.

Was hat sich von Version 1 zu Version 2 inhaltlich geändert? Dazu Rolf Schulmeister im Vorwort:

Welche Ergänzungen habe ich vorgenommen? Es sind einige empirische Studien zusätzlich aufgenommen worden, darunter Studien, die speziell dem Web 2.0 oder der Klientel der Studierenden gewidmet sind, z.B. die empirischen Erhebungen an Studierenden in Graz und Zürich sowie an mehreren Universitäten in Österreich. Vor allem habe ich die Studie von Treumann, Meister, Sander u.a. (2007) eingearbeitet, die kurz vor Veröffentlichung der ersten Fassung des Papiers im Januar 2008 erschienen war. Ferner habe ich in allen Kapiteln versucht, die theoretischen Annahmen und Argumente präziser zu fassen, die sich auf die Generationsproblematik, die Nutzungsmotive (Uses & Gratification) und die Sozialisation beziehen, und durch Hinweise auf die Grundlagenliteratur zu verstärken.

Ich finde, dass der Beitrag (vor allem durch die dazugekommenen Kapitel) viel an Klarheit und Struktur gewonnen hat. Während mir die erste Version an manchen Stellen stark emotional gefärbt erschien, wirkt die zweite Fassung sachlicher und begründeter. Vor allem das Hauptanliegen von Rolf Schulmeister – das Aufzeigen und „Einklagen“ der Wichtigkeit von Diversität im Lehr-Lernprozess  – gelingt treffender als in der ersten Version. Dies zum einen durch die Struktur und die dazugekommenen Kapitel, zum anderen aber durch die genauen methodischen Überlegungen, an denen Rolf Schulmeister den Lesenden teilhaben lässt ( z. B.  S. 27 oder S. 34/35, wo er auch sprachanalytisch die „Argumente“ prüft).

Das wichtigste Kapitel für mich ist Lehren und Lernen = Media Literacy?. Dort verknüpft er das Thema der Net Generation mit dem Thema E-Learning – vor allem im Hochschulbereich  – und setzt sich dort kritisch mit der oft gepriesenen Partizipation im Web 2.0 auseinander. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass sich die Partizipation oft in Grenzen hält (wie ich auch schon hier berichtet habe). Oft wird das Konzept der Net Generation ja als „Voraussetzung“ zur Integration von Web 2.o gebraucht bzw. der Einsatz von Web 2.0 mit dem Vorhandensein der Net Generation gerechtfertigt. Dass diese Sichtweise zu kurz kommt, stellt Rolf Schulmeister umfassend dar, denn

Der Einsatz von Web 2.0-Methoden zum Lernen stellt enorme Vorbedingungen an die Selbstständigkeit der Lernenden, denn Web 2.0 beruht auf zwei nicht ganz selbstverständliches [sic!] Säulen des Lernens: der Bereitschaft zum kooperativen Lernen und dem Willen zum Feedback. Beide setzen Selbstorganisation voraus, das »Kernstück der Web 2.0-Bewegung« (Reinmann 2008). Selbstorganisation kann aber nicht bei allen Lernenden vorausgesetzt werden, eher bei einer Minderheit von Lernenden, wie die vielen Studien und Zeugnisse zu dem hohen Anteil von Studierenden zeigen, die zur Prokrastination oder zum Lurking neigen. (Schulmeister, 2008, S. 111)

Hier besteht nach Schulmeister, und dem möchte ich mich anschliessen, noch erheblicher Forschungsbedarf, denn die Frage ist, wie und wo Web 2.0 gewinnbringend eingesetzt werden kann. Und da reicht es nicht, einfach ein Weblog einzurichten und zu meinen, dass die Studierenden durch das Bloggen und gegenseitige Kommentieren (falls letzteres überhaupt stattfinden sollte) jetzt vermehrt metakognitive Fähigkeiten erwerben. Es ist überhaupt fraglich, ob man Web 2.0 Tools in formalisierte Lernumgebungen integrieren kann, oder ob man dadurch nicht die eigentliche Idee dahinter korrumpiert (aber für alle, die mich kennen, ist dies auch kein neuer Gedanke).

Mein Fazit des Artikels: Eine Lektüre lohnt sich auf jeden Fall, und dies aus zweierlei Gründen: Zum einen erfährt man inhaltlich mehr über die (Nicht)Existenz der Net Generation, zum anderen lernt man aber auch methodisch einiges hinzu. Vor allem mit Studierenden würde ich diesen Text auch unter diesen Gesichtspunkten lesen. Hier wird Wissenschaft nachvollziehbar.

Mehr Diskussionen um dieses Thema werde ich dann sicherlich bei meinen Referaten im September in Luzern und Krems haben – ich freue mich auf den Austausch.

Comments

Liebe Mandy,

danke für deine schöne Synopse von Schulmeisters „Netzgeneration“ 1 und 2. Ich muss sagen, mir ist das Werk jetzt auch wesentlich sympathischer als in der ersten Version, auch wenn ich die Stossrichtung vorher schon durchaus nachvollziehbar und einen Denkanstoss in die Richtung notwendig fand.

Wo ich aber widersprechen möchte ist bei der von dir aufgeworfenen Frage „ob man Web 2.0 Tools in formalisierte Lernumgebungen integrieren kann, oder ob man dadurch nicht die eigentliche Idee dahinter korrumpiert“.

Natürlich kann man darüber streiben, ob Web 2.0 noch 2.0 ist, wenn man es in einen formalen (Bildungs-)Rahmen presst. ABER: In jedem Fall haben die unzähligen kleinen und grösseren Online-Tools, die es jetzt so gibt, das Potenzial, durchaus alte didaktische Ideen einfach umzusetzen. Natürlich müssen Blogs in ein vernünftiges Aufgabendesign integriert werden und Podcasts haben auch grösseres didaktisches Potenzial als „Vorlesungen in der Konserve“ anzubieten (siehe hier einige schöne Beispiele aus Gabis Lehre in Augsburg). Da kann man als Lehrender entweder kreativ sein und neue Aufgabendesigns entwickeln, die bisher kaum oder nur mit grossem Aufwand möglich waren (gerade aus medienpädagogischer Sicht z. B. Podcasts produzieren und veröffentlichen) oder neue Medien nutzen um sich und den Lernenden das Leben leichter zu machen (Gruppenartikel im Wiki, dadurch Arbeitsanteile leichter nachvollziehbar, keine Papierschlacht etc.).

Ob man das dann noch als Lehre/Lernen/Learning/E-Learning 2.0 bezeichnet oder nicht – mei, das kann jeder machen, wie er will. Das wirklich didaktische Potenzial von Web 2.0 liegt m. E. im pragmatischen, zum Kontext passenden Einsatz der Tools ohne aufgeladene Versionsnummernrhetorik (die ich dir natürlich gerade NICHT unterstelle).

Liebe Grüsse nach Züri,
Tobias

Hi Tobi

Vielen Dank für Deinen wichtigen Kommentar. Du hast Recht, dass die Tools helfen, einfach didaktische Möglichkeiten umzusetzen.
Was mir immer nur auffällt (und mich zu dieser These hinreissen lässt), ist, dass Web 2.0 meist nicht so eingesetzt wird. Grund ist meist ein gewisser Hype, der didaktische Hintergrund bleibt in vielen Fällen den meisten unklar aber man verspricht sich viel durch den Einsatz von Web 2.0 in der Lehre, was aber dann (und das wundert zumindest Mediendidaktiker kaum) nicht eintritt.
Ein Beispiel: Weblogs in der Lehre werden oft eingesetzt mit dem hehren Anspruch, Metakognition und Reflexionfähigkeit zu fördern. Dann heisst es: Studierende „müssen“ ein Weblog führen, das am Schluss meist noch bepunktet wird, sonst macht es ja eh keiner. Am Unterrichtsstil wird wenig geändert, das Weblog wird als „Hypeinstrument“ einfach oben drauf gesetzt. Am Schluss wundert man sich, dass die Beiträge weniger reflexiv sind und meist nur aus Banalitäten bestehen.
Hier geschickte Einsatzmöglichkeiten zu finden bedeutet eine gewisse Denkarbeit und Auseinandersetzung, und die finde ich in den meisten Umsetzungen kaum (Dank Gabi gibt es dann Gott sei Dank immer wieder Szenarien, die uns als best practice dienen können). Oft fehlt den Lehrenden aus meiner Erfahrung einfach die Zeit und der Mut, sich auf spannende Medienprojekte einzulassen und Ideen weiterzuentwickeln. Und das ist meines Erachtens die Spannung zwischen formalisiert und eigenverantwortlich.

Liebe Grüsse nach St. Gallen
Mandy

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