Transparenz und Bildung

Wir leben in einer Transparenzgesellschaft – alles wird sichtbar, nichts bleibt mehr im Geheimen und Verborgenen. Ob Wiki Leaks, Transparency International oder die Piraten Partei – durch mehr Transparenz soll sichtbar werden, was bisher als Information nicht zugänglich war. Damit verbunden sind Hoffnungen, die man ad hoc vielleicht als Aufdeckung von Missständen, Ungerechtigkeiten oder sogar Verbotenem bezeichnen könnte. Transparenz hat in diesem Sinne einen aufklärenden Anspruch. Transparenz kann aber auch bedeuten, Öffentlichkeit dort zu erzeugen, wo bisher keine oder nur eine eingeschränkte Öffentlichkeit war.  Transparenz hat viele Gesichter. In jedem Fall ist Transparenz positiv konnotiert.

Transparenz hat aber auch eine andere Seite, dann, wenn es um die Transparenz von Personen, um Fragen des Datenschutzes geht. Im Mittelpunkt stehen dabei die Daten im Netz, die freiwillig hinterlassen werden oder die sich als individuelle Spur im Web verfolgen, sammeln und verwerten lassen. Der (gläserne) Bürger hinterlässt eine Transparenz, die nicht erwünscht ist. Der zunächst positive Blick auf die Transparenz bekommt damit auch eine negative Seite.

Angesichts dieser Ambivalenz stellt sich die Frage, wie sich die „Transparenzgesellschaft“ (Byung Chul Han) im Bildungsbereich niederschlägt. Zunächst sind mir eine Reihe von Beispielen eingefallen: Chronologisch betrachtet lässt sich bereits im Kindergarten anfangen: „Über das Internet können Eltern jederzeit durch die schwarzäugigen Objektive linsen und schauen, wie die Betreuerinnen die lieben Kleinen behandeln.“ (Link). Auf der nächsten Sprosse der Bildungsleiter zeigt sich, dass man das Kindergartensystem auch umdrehen kann. Nicht die Eltern beobachten die Kinder in im Kindergarten, sondern die Lehrer die Schüler – wobei der interessante Punkt ist, dass sie die Schüler zu Hause beobachten (Link). Im Hochschulbereich werden seit einigen Jahren verstärkt Vorlesungsaufzeichnungen eingesetzt – teilweise „flächendeckend“, z.B. für alle Vorlesungen eines Fachbereichs. Fortsetzen lassen sich diese Beispiele über eher indirekte Formen der Transparenz, wie z.B. die Offenlegung von Evaluationsergebnisse von Bildungseinrichtungen, Rankings oder öffentliche Bewertungen von Lehrenden durch Schüler und Studierende. Auf einer dritten Ebene geht es schließlich um die Transparenz von Abschlüssen und Kompetenzen. Ob im europäischen Maßstab oder in Unternehmen; Es soll transparent werden, was wer kann und welcher Abschluss was Wert ist.

Die Beispiele repräsentieren sehr unterschiedliche Sichtweisen auf Transparenz, wobei ich hier keine Bewertung vornehmen möchte. Die Absicht mag dabei in allen Fällen gut (begründet) sein. Die Frage ist, was ein angemessener Umgang mit Transparenz ist, was für wen transparent sein sollte und schließlich wie mit Transparenz im Bildungsbereich umgegangen wird und werden soll? Was die Ursachen und Folgen der Transparenzforderung? Und angesichts der postiven Konnotierung von Transparenz stellt sich die Frage, was negative Folgen der Transparenz im Bildungsbereich sein können. Verändert sich dadurch das Verhalten von Erziehenden, Lehrenden und Lernenden? Gibt es noch Freiräume, geschützte Räume für Fehler und fehlerhaftes (=lernenden) Verhalten? Man muss sich auch vor Augen führen, dass es bei der Transparenz von Organisationen nicht nur um Prozesse geht, sondern auch um Menschen, die in diesen Organisationen tätig sind.

Ein mehr an Informationen, so wie sie die Transparenz bietet, muss dabei nicht immer ein mehr an Qualität und Sicherheit bedeuten. Transparenz kann auch nur eine Illusion sein, gerade wenn  Transparenz erzeugt werden soll. Ohne Vertrauen wird es nicht gehen – auch oder vielleicht gerade im Bildungsbereich. Eine Reflexion über Transparenz im Bildungsbereich erscheint mir daher zunehmend notwendig.

Quellen

Byung-Chul Han (2012): Transparenzgesellschaft. Matthes & Seitz: Berlin