Rien ne vas plus – Wissen 2.0

Einen interessanten Artikel habe ich bei sciencegarden gelesen: Wissen 2.0. Christian Dries schildert die Auswirkungen des Internet auf die Universität und ihr Bildung. Das Internet und vor allem die Entwicklungen von Social Software verändern auch Universitäten. Er geht davon aus, dass vor allem durch die technischen Entwicklungen eine neue Universität entsteht:

Dort werden wir uns nur noch dann zurechtfinden, wenn wir uns von den ur-alteuropäischen Idealen der Humboldtschen Volluniversität und des diskursiv-linearen Denkens verabschieden.

Auch die Wissenschaft kann sich nicht mehr vor den Veränderungen im Web 2.0 verschliessen, die Frage ist nur, a) was diese Entwicklungen auf die Produktion von Wissen bedeuten, immerhin eine Hauptaufgabe von Universitäten, und b) wie man erfolgreich damit umgeht, denn Negieren. Eine Tendenz ist es, dass die Wissensproduktion an Universitäten immer schneller geschehen muss, Projekte haben die Tendenz, für immer kürzere Zeiträume bewilligt zu werden, Finanzmittel sind knapp. Also gilt es, in möglichst kurzer Zeit so viel wie möglich zu machen, am besten alles gleichzeitig:

Deshalb gelte es im Internetzeitalter zuallererst einmal, möglichst viele Kommunikationsanforderungen abzuwehren und jede überflüssige Information zu vermeiden,[…]. Zum Beispiel durch kursorisches, oberflächliches Lesen (neudeutsch: Browsing) oder Multitasking: Während man rasch eine E-Mail an die Kollegin in Kalifornien tippt, telefoniert man mit dem Institutsleiter und überfliegt nebenbei noch einen Abstract. Diese kurzen Zusammenfassungen, einst als Ãœberblick und Einstieg in einen längeren Text gedacht, erfreuen sich übrigens zunehmender Beliebtheit als Totalersatz für die eigentliche Lektüre. Ebenso beliebt sind schlanke Einführungsbücher anstelle wuchtiger Originale. Oder Online-Enzyklopädien, aus denen man mit ein paar Mausklicks den ein oder anderen Absatz – leicht verändert – im Copy & Paste-Verfahren übernehmen kann.

Studierenden kreiden wir dieses Verhalten an, doch unter Dozierenden oder Professoren wird es kleingeschwiegen oder negiert, wie es der Fall in Berlin deutlich zeigte. Doch was heisst dies für Wissen und dessen Produktion?

Für die Produktion gehaltvollen wissenschaftlichen Wissens taugen diese Strategien nur sehr bedingt. Schließlich ist gute Wissenschaft immer noch gleichzusetzen mit der relativen Verschwendung von Lebenszeit. Bleibt davon immer weniger für die ursprüngliche wissenschaftliche Arbeit übrig, z.B. die aufwändige Lektüre von Klassikern und die mühselige Suche nach treffenden Formulierungen, leidet zwangsläufig die Qualität – oder aber der Mensch, der sie unter Hochdruck produzieren muss.

Dies hört sich immer sehr schön an, und viele würden es direkt unterschreiben, doch ist jeder an der Hochschule genau in diesem Rad gefangen. Einen Ausweg scheint es nicht zu geben, auch wenn Initiativen wie der freiwillige Verzicht, den Gabi Reinmann hier angedeutet hat, durchaus lohnenswert erscheinen. Doch so lange Berufungen immer noch von der Quantität der Veröffentlichungen abhängig sind, wird sich so schnell nichts ändern. Hier gibt nicht unbedingt das Internet oder die neuen technologischen Möglichkeiten die Marschrichtung vor, sondern die Universitäten selber konstruieren sich so den Druck.

Was bedeutet das für die Universität von morgen? In der alten, analogen Welt lagen Produktion und Distribution des Wissens in der Hand einer kleinen, überschaubaren Experten-Elite. Wissen wurde individuell hergestellt und war linear-systematisch beziehungsweise hierarchisch klar gegliedert. Zwischen Wissenschaftlern und Laien gab es eine eindeutige Grenze. All das gilt im fortgeschrittenen Internetzeitalter nicht mehr.
[…]
So wird Fachwissen zunehmend von Metawissen verdrängt. Die alten Kriterien der Darstellung und Weiterverarbeitung des Wissens lösen sich auf, Grenzen verschwimmen – zwischen nüchternen Fakten, Essay und Multimediashow, zwischen lebensweltlichem Wissen und Fachwissen, Deskription und Fiktion, aber auch: zwischen den einzelnen Disziplinen, zwischen Archäologie, Metallkunde und Biologie zum Beispiel, zwischen Wissenschaft und Kunst, Wissenschaft und Journalismus. Alles wird im Netz und durch das Netz vermittelbar und kombinierbar.
[…]
Magazine und Internet-Dienste wie Spiegel Online, sciencegarden, Wikipedia, Google Book Search und Co. weisen darauf hin, dass sich die neu entstehenden Wissenslandschaften zunehmend zerklüften, heterogener und unübersichtlicher werden. Mix it, Baby, lautet die Devise. Am Ende kommt etwas Neues dabei heraus: Wissen 2.0.

Oder wie schon Walter Zimmerli sagte:

Das Problem der so genannten Wissensgesellschaft aber ist nicht, dass wir zu viel intern gespeichertes Wissen hätten, sondern dass wir zu viele und viel zu komplizierte Zugangsmöglichkeiten zu allzu viel extern gespeichertem Wissen haben. Wir wissen zu wenig über das Viele, das wir nicht wissen; wir wissen aber zu viel über das Wenige, das wir wissen. (Zimmerli, 2006, S. 37)

Dies hat auch Auswirkungen für die Mitglieder an Universitäten, die erstens mit dem verschiedenen Wissen umgehen müssen und zweitens zwischen den verschiedenen Anforderungen fast zerrissen werden. Spontan fällt mir da das Bild des Hamsters im Laufrad ein:

Wer in der Wissenschaft in Zukunft noch mitreden, wer vor allem erfolgreich sein will, muss die Quadratur des Kreises schaffen: Er oder sie muss virtuos auf der Klaviatur des Netzes und seiner Möglichkeiten spielen, tagtäglich den darwinistisch anmutenden Kampf um digitale Anerkennung in der Aufmerksamkeitsökonomie ausfechten, und sich zugleich so weit wie möglich aus all diesem hektischen Treiben heraushalten. Letzteres dürfte nur wenigen vergönnt sein.
Denn die Universität der Zukunft wird vermutlich zerfallen: In eine höhere Schule mit modularisierten, gestrafften Studienplänen auf der einen Seite, in der den breiten Massen ausreichend Metawissen vermittelt wird, um den ständig wechselnden Anforderungen der außerakademischen Arbeitswelt zu trotzen. Und in eine elitäre Spitzenuniversität auf der anderen Seite, an der es noch vereinzelte – anachronistisch-analoge – Oasen der Wissensproduktion gibt.

Ist das wirklich die Zukunft der Universitäten?

Comments

Toller Artikel und spricht mir absolut aus der Seele.

Wenn man sich den politischen Willen anschaut, werden Universitäten nicht mehr das sein, was sie mal waren. Andersrum müssen sich auch diese jahrhunderte alten Institutionen einmal bewegen und einmal registrieren, was das Internet verändert hat und vor allem wird.

Ein Professor sollte heute online sein, bloggen, einen Lernraum bedienen können, chatten, Powerpoint Folien erstellen, aber auch motivierend und didaktisch gut vermitteln können. Ich fühl mich dabei schon überfordert und ich doziere Informatik:-) Was sollen die sagen, die keinen technischen Background haben.

Auf jeden Fall ist es eine spannende Zeit in der wir arbeiten und leben, fast so wie damals bei Gutenberg, nur viel viel schneller.

Gruss aus dem Norden
Andreas

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