Weblogs: Psychohygiene oder Meinungsmacher

In der zs (der Zeitung für Zürichs Studierende) gab es in der Dezemberausgabe einen Schwerpunkt mit dem Titel «Weblogs: Psychohygiene oder Meinungsmacher». Zwei Artikel waren abgedruckt, zum einen von Andreas Eberhard „Weblogs – eine journalistische Plage“ und zum anderen Florian Frey „Psychohygiene in der anonymen Öffentlichkeit“.

Es gab einige interessante Punkte, die ich hier gerne hervorheben möchte. Joseph Trappel vom Institut für Publizistikwissenschaft der Universität Zürich betrachtet die Weblogs oft gesagte unbegrenzte Möglichkeit der freien Meinungsäusserung (sog. «Graswurzeljournalismus») durchaus als gescheitert. Blogs, die eine wirkliche Auswirkung auf die öffentliche Meinung hätten, kämen meist aus den Medienkonzernen selber, der einzelne Blogger hat nicht den Einfluss.

Die Volkskundlerin Waltraut Bellwald hat sich von einer anderen Seite, nämlich der der Kulturwissenschaft den Weblogs genähert. In einer teilnehmenden Beobachtung (sie hat selber einen Weblog betrieben) kommt sie zu folgender Einsicht:

Im Gegensatz zu anderen Formen der Kommunikation ist im Rahmen eines Blogs aufgrund seiner Form fast alles möglich. Es besteht auch ein grösserer Reiz, sich auf diese Art mitzuteilen, weil potenziell ein grösseres Publikum ansprechbar ist (das ganze world wide web). Und: Der Autor kann sich in der Anonymität vermummen. Manche Bemerkung oder Meldung würde man im öffentlichen oder privaten Gespräch nicht äussern. Man kann sie aber getrost anonym in seinem Blog kundtun – und hat sich so etwas von der Seele geschrieben, das man sonst belastend mit sich herumgetragen hätte. Der Blog als Art Psychohygiene sozusagen. (Quelle: Frey, F. (2006). Psychohygiene in der anonymen Öffentlichkeit. zs, nr. .4/85, dezember 2006, S. 9)

Ich denke, dies ist vor allem abhängig davon, welche Art von Weblog man betreibt. Diese These ist nur für einen Teil der Blogger richtig, nämlich diejenigen, die das Weblog als persönliches oder intimes Tagebuch nutzen. Es gibt jedoch eine Anzahl von Typen und Veröffentlichungsformen, die diese These nicht unterstützen. Oft bloggt man gar nicht anonym, sondern unter seinem eigenen Namen. In meiner Blogroll befindet sich kein anonymer Weblog, vielleicht aber auch daher, da wir ein mehr oder weniger festgestetztes Thema haben, über das wir bloggen. Ein Tagebuch ist das Weblog aus meinem Bekanntenkreis für wenige. Ein Wissensmanagement- oder Kontaktsystem schon eher. Und da hat Psychohygiene nichts zu suchen. Man sieht also, dass man eigentlich nicht von DEN Blogs sprechen kann. Es gibt sehr unterschiedliche Formen, die auch jedes für sich andere Aussagen zu lassen. Es gibt Weblogs, die als persönliches Wissensmanagement dienen, es gibt Weblogs, die der Reflexion über eine Dissertation oder ähnliches dienen, es gibt Weblogs, die aus dem beruflichen Alltags des einzelnen berichten, usw. Hier gibt es eine Fülle von Anwendungs- und somit Unterscheidungskriterien. Dies lässt sich auch schön mit einer Aussage belegen, die Frey ein wenig später bringt:

Schwieger ist in Anbetracht des raschen Wandels und der riesigen Vielfalt der Versuch einer Typisierung von Blogs. Versucht hat das beispielsweise die amerikanische Forscherin Susan Herring (2004). Aufgrund ihrer Forschung teilt sie Blogs ein in persönliche Journale mit internem (also eigenem) Inhalt, sogenante «Filter» mit externem Inhalt (vor allem Linksammlungen), «knowledge-logs» mit informativen bis wissenschaftlichen Inhalten, Mischungen dieser drei Arten oder andere wie zum Beispiel literatirsche Blogs. (Quelle: Frey, F. (2006). Psychohygiene in der anonymen Öffentlichkeit. zs, nr. .4/85, dezember 2006, S. 9)

Interessant ist der Einsatz von Weblogs neben dem persönlichen Bereich meines Erachtens nach in der Wissenschaft und beim Lehren und Lernen. Einen guten Abschnitt findet man bezüglich Blogs in der Wissenschaft auch bei Frey:

Interessant ist Bellwalds Hinweis auf die Rolle der Weblogs in der Wissenschaft. Als Forschungsobjekt wird er von den verschiedenen Fachrichtungen unterschiedlich untersucht. Hingegen scheint er bisher kaum als Werkzeug für wissenschaftliche Forschung eingesetzt worden zu sein. Vor allem die Geisteswissenschaft scheinen hier Berührungsängste zu haben, obwohl der Blog als Medium sich nahezu aufdrängt, genutzt zu werden. Das Desinteresse der Geisteswissenschaft mag davon herrühren, dass sie ihre Publikationen bisher als exklusiv für ihr Fachpublikum verstanden wissen wollte. Hingegen könnte es gerade hier interessant sein, über Blogs ganze Gedankengänge zu präsentieren, und seine Forschungsfrage permanent der Reflexion mehrerer Fachleute auszusetzen. (Quelle: Frey, F. (2006). Psychohygiene in der anonymen Öffentlichkeit. zs, nr. .4/85, dezember 2006, S. 9)

Die These der geisteswissenschaftlichen Abstinenz beim Bloggen und als Werkzeug für die eigene wissenschaftliche Forschung ist für mich überraschend, denn ich kenne vorwiegend «geisteswissenschaftliche» Weblogs. Ein gutes Beispiel stellt der Web 2.0 Blog dar. Hier berichten Marcel Kirchner und Thomas Bernhardt über ihre Diplomarbeit. Sie stellen ihre Thesen zur Diskussion und berichten über ihre Fortschritte.

Die Entwicklung und der Diskurs über einen längeren Gedanken zusammen mit anderen Experten, vor allem Professoren, finde ich ein spannendes Einsatzfeld, das jedoch meines Erachtens nach in der Praxis nicht immer funktionieren wird. Zwar lässt sich mit einem Weblog eine gute Community aufbauen (Grüsse an alle Leser des Weblogs 😉 ), dennoch denke ich nicht, dass es Professoren gibt (ausser vielleicht Herrn Kerres und Herrn Wedekind), die den inhaltlichen Austausch mit Fachleuten über Weblogs praktizieren würden. Neben der hinzukommenden Generationenfrage (Ausnahmen bestätigen hier wie immer die Regel) wird kein Professor oder Forscher seine Gedanken, die er noch nicht in einer Publikation untergebracht hat, zur freien Diskussion ins Internet stellen. Meist werden fertige Artikel zur Diskussion gestellt. Einen wirklichen Gedankenaufbau mit verschiedenen reflexiven Schleifen und Sackgassen findet man im Weblog eher selten. Usus ist selten das gemeinsame Entwickeln von Gedanken, sondern eher das nachträgliche Kommentieren bereits mehr oder weniger fertiger Artikel. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei den paar bloggenden Professoren, die ich kenne, meist um Menschen handelt, deren berufliches Umfeld schon sehr E-Learning affin ist. Hier hat man also nicht den «Durchschnittsprofessor». Wenn man dies bedenkt, ist Bellwalds These fast schon wieder nachvollziehbar.