wissenschaftliches Schreiben

Die Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik (AfH) der Universität Zürich veranstaltet jedes Semester «Hochschuldidaktik über Mittag». Dieses Jahr dreht sich die Veranstaltung ganz um das Thema «Wissenschaftliches Schreiben».

Den ersten Vortrag bestritt Markus Binder zum Thema «Grundprobleme des wissenschaftlichen Schreibens».

In seinen Kursen zum wissenschaftlichen Schreiben hat er gemerkt, dass wissenschaftliches Schreiben gleich fachliches Schreiben ist. Der Nenner zwischen den einzelnen universitären Disziplinen ist recht gering. Aus diesem Grund fällt auch eine breite Förderung von wissenschaftlichen Schreiben so schwer. Schreiben ist dabei nicht nur die Versprachlichung von Gedanken und nicht nur Textproduktion – schon gar nicht kann man Dinge einfach mal so «runterschreiben» – Schreiben ist ein komplexer Prozess, der damit auch viele Probleme mit sich bringt. Obwohl seiner Meinung nach 10 Grundprobleme schöner gewesen wären, listet er 8 Probleme auf, die sich auch gegenseitig beeinflussen.

1. Das Anfangen
Das Anfangen meint nicht nur den Einstieg in den Text, sondern den Einstieg in das Texten. «Wo soll ich beginnen?» ist eine häufige Frage. Schreibarbeit wird oft nicht ernst genommen, paralleles Schreiben an zwei Texten ist fast unmöglich. Ein Grund für die Problematik des Anfangs besteht im Zeitdruck. Schreiben braucht vor allem auch Zeit, und zwar Zeit am Stück – ein Gut, das in den Universitäten von heute zum Teil verloren geht (vgl. diesen Post). Weiterhin kommt hinzu, dass gerade bei wissenschaftlichen Texten der Anspruch an den Text und damit die eigene Person hoch ist. Der richtige Anfang braucht die Vorbereitung.
2. Das Vorbereiten
Ein Zitat hat mir besonders gefallen: «Das Schreiben beginnt vor dem Schreiben», nämlich mit der Anfertigung eines Konzepts. Dieser Zwischenschritt zwischen Lesen und Schreiben wird oft vergessen. Das Konzept gibt Antworten auf die Frage, wie man eine präzise Forschungsfrage zu beantworten gedenkt, und zwar Schritt für Schritt. Das Konzept ist im Akt des wissenschaftlichen Schreibens sozusagen die Landkarte, die den Weg aufzeigt. Denn ohne Konzept kommt man schnell zu Grundproblem No. 3:

3. Die Blockade
In 4 von 5 Fällen sei die Blockade zurückzuführen auf ein mangelndes Konzept. Den Prozess des Schreibens kann man auch wie folgt darstellen: Schreibprozess.jpg
Eine Blockade ist dabei auf eine mangelnde Struktur zurückzuführen, also das Auslassen des zweiten Punktes im Kreislauf. Dabei kann dieses Ordnen auf verschiedene Arten geschehen: mit PostIt, mit MindMaps, in Essayform, in Journalen, usw. Er belegt die Aussage mit einem Zitat von Walter Benjamin, das ich hier nur dem Sinn nach wiedergeben kann: Lass keinen Gedanken inkognito passieren und führe dein Notizbuch wie die Behörden ein Fremdenregister. Nebenbei gemerkt kann man m.E. nach Notizbuch auch mit Blog übersetzen 😉

4. Die Eigendynamik
Dabei liegt das Problem darin, das kreative Potenzial zuzulassen, sich aber gleichzeitig an die Gliederung zu halten.Gedanken entstehen oft beim Schreiben, und dieser Akt zwischen Konzept und Kreativität ist manchmal problematisch.

5. Das Redigieren
Mit dem Schlusspunkt unter einem fertigen Text sollte man meinen, ist der Text fertig, jedoch fängt nach Binder die Arbeit erst richtig an. Es geht nämlich nun darum, die ganze Arbeit nochmals in Frage zu stellen, an der Logik und den Formulierungen zu Arbeiten, Dinge zu streichen, andere Formulierungen zu präzisieren, kurz: zu redigieren. Und dieser Prozess wird oft nicht gemacht. Inhalt und Form hängen zusammen. Oft muss man das Thema sprachlich erobern, sozusagen schreibend lernen. Dieser Prozess ist immanent wichtig, wird jedoch oft unterschlagen.

6. Die Stoffhuberei
Vor allem in wissenschaftlichen Artikeln ist dies der Fall. Schon jeder hat Texte gesehen, in denen die Fussnoten länger sind als der eigentliche Text, da ja alles irgendwie wichtig ist. Und wenn es keinen Platz mehr hat, dann halt in der Fussnote. Aber auch beim wissenschaftlichen Schreiben gilt nach Binder: less is more. Das Weglassen und Kürzen ist dabei kein einfacher Prozess, sondern tut meist weh. Dennoch sollten auch wissenschaftliche Texte prägnant, präzise und verständlich sein (eine These, die zu regen Diskussionen führte, siehe unten).

7. Der Substantivismus
Die Verknappung vor allem in wissenschaftlichen Texten führt zu einem Substantivismus, da man mit einem Substantiv unheimlich viele Bedeutungen transportieren kann. Allerdings ist es nach Binder schon so weit, dass Wissenschaftler in Substantiven denken, da es einfach zu viele Substantive in den Texten gibt. Dabei spricht er nicht von der Abschaffung, sondern vom sinnvollen Einsatz von Substantiven.

8. Das Ãœben
Viele Studierende schreiben seiner Meinung nach zu wenig. Dabei geht es nicht um das Schreiben von Abschlussarbeiten, sondern um das Schreiben von kleineren Texten, wie Rezensionen oder Essays. Rezensionen regen zum kritischen Hinterfragen an, Zusammenfassungen schärfen den Blick für das Wesentliche. Dies wird aber oft zu wenig im Studium gelernt.

Diskussion Gerade das Zusammenfassen von Gedanken, das Kommentieren und ähnliche Prozesse können meiner Ansicht nach durch das regelmässige Bloggen geübt werden. Mit dem Bloggen erreicht man dadurch mindestens zwei Ziele: persönliches Wissensmanagement (siehe den Beitrag hier) und Schreibtraining. Mir fällt auf, dass mir die Produktion von kurzen Texten, Zusammenfassungen oder Kommentierungen leichter fällt, seit ich blogge. Man muss sich genau überlegen, warum man anderen zustimmt oder diese kritisiert, man muss sich die Argumente zurechtlegen und möglichst verständlich ins Blog bringen (auch wenn sich im Eifer des Gefechts ab und zu der ein oder anderer Rechtschreibfehler blicken lässt 😉 ). Das bringt mich übrigens direkt zum Diskussionsthema: Müssen wissenschaftliche Texte verständlich sein? Und hier gibt es durchaus kontroverse Meinungen: Wissenschaftliche Texte sollten nicht leicht verständlich sein, denn schliesslich gehe es in der Wissenschaft darum, sich auch an Texten zu reiben, Dinge mehrmals zu lesen, damit man sie wirklich verstanden hat, sozusagen das Erspüren von Sinn. Die andere Position geht davon aus, dass wissenschaftliche Texte unbedingt leicht verständlich sein sollen, denn schliesslich will man dem Leser ja etwas vermitteln und mitteilen. Hier schieden sich im Saal und bei der Diskussion die Geister, und ich denke, das zugrunde liegende Problem kann man auf die Frage verdichten, warum man veröffentlicht. Geht es darum, vor anderen Fachvertretern als möglichst «genial» daherzukommen, um die eigene Publikationsliste zu füllen? Dann wird man wahrscheinlich eher dazu tendieren, möglichst elaborierte Texte zu schreiben. Geht es darum, Menschen etwas mitzuteilen, dann wird man es möglichst präzise formulieren. Das Problem ist, dass in der Wissenschaft die zweite Gruppe von Autoren meist nicht ernst genommen wird, wobei es meiner Ansicht nach erheblichen Mehraufwand bedeutet, etwas einfach und präzise auszudrücken als kompliziert. Dass es auch anders geht, zeigen englische Fachtexte, die meist einfacher geschrieben sind als deutsche: das Passiv ist verpönt, man schreibt in der ersten Person singular und viel direkter als in der deutschen Wissenschaftssprache, wie der Prorektor Fischer in seiner Einführung erwähnte.

Ich bin gespannt auf die weiteren Veranstaltungen, in denen dieser Punkt zwischen Verständlichkeit und Elaboriertheit sicherlich wieder an der ein oder anderen Stelle erscheinen wird.