Nun habe ich einen Teil der Patenschaft für das Wort «Unbildung» übernommen. Patenschaften tragen immer eine hohe Verantwortung, und eine Wortpatenschaft zu übernehmen, heisst:
“Entwickeln Sie das Wort weiter, pflegen Sie es, hüten Sie es vor Mißbrauch oder Verdrängung! Schreiben Sie Gedichte mit Ihrem Wort, tauschen Sie sich aus mit anderen Wortpaten und schaffen Sie Wörterbiotope oder -museen, ertüfteln Sie Wortspielereien.â€
Somit möchte ich an dieser Stelle einen Anfang wagen und mich mal mit dem Thema Unbildung beschäftigen und einen ersten Vorstoss wagen, der sicherlich nicht ausschöpfend sein wird, sondern einfach mal ein paar Gedanken vorstellt, die es weiter zu verfolgen gilt.
Unbildung, was ist das eigentlich? Von der Wortbedeutung her findet man hier einige interessante Hinweise. Synonyme sind also: Synonyme: Banausentum, Bildungslosigkeit, Dummheit, Taktlosigkeit, UnbelesenheitUngeist, Unkultur und Unschicklichkeit. Doch was steckt hinter dem Begriff, der heute 40’700 Treffer bei google erzielt? Ist es das Gegenteil von Bildung (immerhin 132’000’000 Treffer)? Ist es noch nicht vorhandene Bildung? Ist es die Ignoranz von Bildung? Und wie verankert ist Unbildung in der Gesellschaft? Wie gebildet sind Menschen? Gibt es einen Unterschied in der (Un)bildung von Wissenschaftlern und „normalen“ Personen?
Dieser Frage ist FTE info nachgegangen und hat einen Fragebogen zur wissenschaftlichen Bildung erstellt, in dem Versuchspersonen möglichst spontan antworten sollten. Das interessante an dieser (zugegebenermassen nicht ganz wissenschaftlichen) Untersuchung ist dennoch erstaunlich:
Auffallend ist zunächst die bemerkenswert ähnliche Quote „richtiger“ Anworten von Wissenschaftlern und Personen, die dieses Fach nicht studiert haben – dies gilt sogar für die „wissenschaftlichen“ Fragen (siehe Grafik a). Daraus ließe sich schließen, dass entweder dieses Thema einfacher war als die anderen Kategorien oder es besser um die Wissenschaftsbildung bestellt ist, als gemeinhin angenommen wird.
Doch das ist nicht nur das einzige interessante Ergebnis:
Die wissenschaftliche Bildung nimmt beispielsweise mit steigendem Alter zu (…), während die auf den beiden anderen Gebieten [Kunst und Geschichte/Zeitgeschehen] erreichte Punktezahl relativ gleich bleibt. (Quelle)
Haben wir also unser Ziel erreicht? Sind jetzt alle gebildet bzw. werden sie es im Laufe ihrer Lebenszeit? Plötzlich scheint es zu einer Gegenbewegung zu kommen: Nach Zeiten, in denen Schwanitz & Co einen sagenhaften Erfolg mit Titeln wie «Bildung – alles was man wissen muss» hatten, scheint sich nun das Blatt zu wenden. Letzte Woche habe ich im Magazin der deutschen Bahn die Buchvorstellung des Buches «Lexikon des Unwissens. Worauf es bisher keine Antwort gibt» von Kathrin Passig und Aleks Scholz gelesen. Darin schildern die Autoren das sog. »knowing unknown», also Wissen, das man noch nicht weiss, z.B. wie genau eine Narkose funktioniert oder womit Katzen schnurren. Die Autoren begründen ihre Motivation, ein solches Buch zu schreiben damit, dass das Unwissen spannender ist als das Wissen und bescheiden macht, da man auch mal zugeben muss, etwas nicht zu wissen. Es gibt also noch vieles, auf das es noch keine Antwort gibt.
Kann man das auch auf die Unbildung übertragen? Ist sie vielleicht auch spannender als die Bildung selber? Eine schwierige Frage, die ich jedoch fast mit ja beantworten würde.
Doch kommen wir nochmals zurück auf das Wesen von Unbildung: Ist Unbildung das Gegenteil von Bildung, oder vielleicht auch ein bestimmter Teil von Bildung? Ich bin über einen anderen Beitrag von Thomas Buchheim gestolpert, in dem es um Bildungsbestrebungen geht, die man in zwei Typen unterscheiden kann. Vor allem der zweite Typ erscheint mir spannend:
Diesen zweiten Typ eines unartikulierten, unorganischen Bildungsstrebens karikiert ein Gedicht von Christian Morenstern mit dem Titel Der Vergess:
Er war voll Bildungshung, indes
soviel er las
und Wissen aß,
er blieb zugelich ein Unverbess,
ein Unver, sag ich als Vergess;
ein Sieb aus Glas,
ein Netz aus Gras,
ein Vielfress –
und doch kein HaltefraßWer viel aufnimmt, aber nichts bei sich behält und assimiliert, das heisst zu sich selbst macht und zu eigener Artikulation verwendet, der wird bei allem Hunger und Verzehr niemals gebildet, bleibt unverwandelt und damit eben ein «Unverbess». Deshalb ist es unerlässlich, den Faktor «Lebenszeit» im Auge zu behalten, dessen es bedarf, einen bloss «ersurften» Konsum von Angeboten für Lernen und Ausbildung in echte Bildung zu verwandeln, die den Namen verdient. Das erfordert nämlich Auswahl, Widmung und Beschränkung, die nicht im Reichtum der Angebote enthalten sein kann und für die der Konsument am Bildschirm mit sich allein gelassen wird.
(Quelle: Buchheim, T. (2006). Lernen mit dem kleinen «e»: Von Nutzen und Nachteil des E-Learning zur Beförderung unserer Bildungsbemühungen. In D. Miller (Hrsg.). eLearning – eine multiperspektivische Standortbestimmung. (S. 33–36). Bern: Haupt Verlag)“
Kann man also davon ausgehen, dass man bloss auf Vorrat gegoogelte Fakten als «Unbildung» bezeichnen kann? Und spätestens hier kommt Liessmann mit ins Spiel, wenn er heutige (universitäre) Bildung wie folgt kritisiert
„Nicht um Bildung geht es, sondern um ein Wissen, das wie ein Rohstoff produziert, gehandelt, gekauft, gemanagt und entsorgt werden soll, es geht – sieht man von den Sonderprogrammen für die neuen Wissenschaftseliten einmal ab – um ein flüchtiges Stückwerkwissen, das gerade reicht, um den Menschen für den Arbeitsprozeß flexibel und für die Unterhaltungsindustrie disponibel zu halten. (Liessmann, S. 53)
Das Wissen der Wissensgesellschaft definiert sich vorab aus seiner Distanz zur traditionellen Sphäre der Bildung; es gehorcht aber auch nicht mehr den Attitüden der Halbbildung. Das, was sich im Wissen der Wissensgesellschaft realisiert, ist die selbstbewußt gewordene Bildungslosigkeit.
Mit anderen Worten formuliert:
Ich sage in meiner „Theorie der Unbildung“ ja nicht, dass wir dümmer werden. Im Gegenteil: Das Wissen, über das wir verfügen können, das wir teilweise auch in uns haben, ist immens. Es ist nur zusammenhanglos, wir schwimmen gewissermaßen im endlosen Datenozean. Was uns abhanden kommt ist das, was man etwas nostalgisch eine Idee von Bildung nennt, die eine normativ steuernde Funktion für die Organisation dieses Wissens haben könnte. Gleichzeitig haben wir das dumpfe Gefühl, dass das Verstehen eines physikalischen Gesetzes oder die Kenntnis der Weltliteratur doch einen anderen Status hat als das Wissen über die jüngste Liaison eines x-beliebigen Popstars – obwohl das in den Wissensshows und in vielen Medien gleichrangig behandelt wird. In dem Moment, wo die synthetisierende und organisierende Kraft solch einer Bildungsidee abnimmt, werden wir unseren eigenen Wissensmöglichkeiten gegenüber ohnmächtig. Gerade angesichts der Unendlichkeit des Wissens, das uns im Prinzip zur Verfügung stünde, fühlen wir uns ja auch extrem unwissend. (Quelle)
Kann man diese Bildungslosigkeit bzw. das Nichtverstandene, Unverdaute, Ergoogelte als Unbildung bezeichnen?
… to be continued …
Viel Erfolg mit der neuen Patenschaft, auch wenn ich hoffe, dass Unbildung nur als Wort der Gesellschaft erhalten bleibt! 😉