«Lehren und Lernen nach Bologna» II

Heute sind wir mit dem Referat «Lehre an Forschungsuniversitäten» von Prof. Walter Zimmerli gestartet. Prof. Zimmerli ist Präsident der AutoUni der Volkswagen AG und war Präsident der privaten Hochschule Witten-Herdecke.

Meine Notizen zum Referat als Zusammenfassung:

1. Einheit von Forschung und Lehre
Zimmerli unterscheidet zwei Universitätstypen: eine Universität der Kultur (europ. Universität) vs. Universität der Excellence (v.a. nordamerik. Universität) → ohne dass man allerdings weiss, welche Exellence gemeint ist. In Amerika gibt es z.B. eine excellence in parking. Wie er so schön mit einem Zitat von Paul Feyerabend erläutert: «Wissenschaft und organisierte Kriminalität unterscheiden sich wenig, wenn man die Kritieren für Excellence anschaut» (P. Feyerabend)

Gefordert ist oft die Einheit von Forschung und Lehre, real existiert aber eine Asymetrie von Forschung und Lehre. Dabei hat Einheit von Forschung und Lehre nichts mit der Abgrenzung von der Wirtschaft zu tun, sondern ist eigentlich ein Abwehrrecht des Staates.
Zimmerli führt die Unterteilung in der Forschung, wie sie in Deutschland gemacht wird, vor.
o Grundlagenforschung (MPI, DFG)
o Angewandte Forschung (Fraunhofer, Leibnitz)
o Entwicklung (Wirtschaft), z.B. Airbus
o Hybrid: Orientierte Forschung

Oft fehle nach Aussagen von Prof. Zimmerli die «letzte Meile»: D, A, CH sind (Vize)meister in Patenten, allerdings schaffen sie es nicht, diese auch umzusetzen. Dabei weiss man seit Schumpeter: Innovation = commercialization of invention (Schumpeter), d.h. Innovationen müssen in der Realität eingesetzt werden. Seine Kritik geht damit noch einen Schritt weiter, es gibt im deutschsprachigen europäischen Raum eine Trennung von Lehre – Forschung und Innovation.
Nun mag man meinen, dass dies ein Manko deutschsprachiger Universitäten ist, Zimmerli kritisiert aber auch sog. «Eliteuniversitäten»: In Harvard seien Dozierende vor allem Literaten, Geschichtenschreiber, indem sie Fälle schreiben, die längst gelöst und kalt sind → hier fehlt es an Innovation.
Universitäten müssen gesehen werden als Zukunftswerkstatt: Ziel ist dabei die richtige Qualifizierung, (zuviel Bildung kann nicht schaden, aber zuwenig an der richtigen Stelle), die Schaffung von offene Wissensorte des «geistigen Widerstandes» (J. Derrida), Universitäten als Orte, die vom Streamline (Staat oder Wirtschaft) verschont bleiben.

2. Bologna und die Folgen
Im Gegensatz zur Idee (nämlich jederzeit zu wechseln) gestalten sich die gestuften Studiengänge als Mobilitätsrisiko: Ein Wechsel findet nur zwischen BA und MA Stufe statt, aber nicht während des BA und MA, inhaltliche Anforderungen sind überall verschieden, 3 Jahre sind zu kurz für Wechsel.
Eine Mobilitätschance stellt die Modularisierung dar (Beseitigung von Mobilitätshemmnissen, Förderung von interkulturellen Kompetenzen, Mobilität zwischen Hochschulen und Bildungsgängen, lebensbegleitendes Lernen)
Er entwickelt eine interessante Idee: es gibt einen ECTS Pass, den man das ganze Leben wie einen Pass in der Tasche trägt und kann so von Ort zu Ort wandeln. Ab und zu kann man die gesammelten CP in Degress umwandeln. So werden Curricula nachhaltig, im Vordergrund stehen Module.
Man braucht einen Wechsel, vom Ketten- zum Netzwerkparadigma:
Das Kettenparadigma besagt kurz zusammengefasst, dass weder klassiche Konkurrenz noch Kooperation modellierbar sind (the great chain of being – Lovejoy, 1936). Es gilt das Prinzip Ursache und Wirkung, auch die Lehre wird in einer curricularen Kette organisiert, die Abfolge des Lernens ist vorgeschrieben.
Was hier fehlt ist die eine Interaktion mit anderen Ketten → wie in einem Netz. Die Welt als Netzwerk spricht eigentlich gegen eine curriculare Orientierung, sondern eine Modulabfolge kann individuell erfolgen. Kombination und Rekombination sind dann individuell massgeschneidert

3. Jenseits der Disziplinen
Zimmerli spricht von einer Versäulung als Erbe des 19. Jahrhunderts: man spricht von 2 Kulturen: der Naturwissenschaft und der Geisteswissenschaft. Allerdings gibt es eigentlich viel mehr, nämlich 4 Kulturen: Naturwissenschaft – Ingenieurwissenschaft, Geisteswissenschaft – Sozialwissenschaft.
Dies bedingt:
Wir operieren in einem System von Stereotypen (C.P. Snow) und wir wissen nur wenig über die anderen Disziplinen. Doch wer jetzt dachte, dass Interdisziplinarität die Lösung ist, liegt falsch, denn Interdisziplinarität bedeutet aus dem lateinischen her ein „zwischen“ und das einzige, was man nach Zimmerli damit erreiche, ist ein „zwischen den Stühlen sitzen“. Interdisziplinarität sei ein Ausweis fehlender Qualität.
Er plädiert für Transdiziplinät und somit einen transdisziplinären Baukasten. Transdisziplinarität ist mehr als Interdisziplinarität: man ist in einer Disziplin zuhause und von dort greift man in die andere Disziplin. Es kommt zu einer Begegnung von disziplinären Profis. Transdiziplinarität ist das wiss. Vorgehen, das wissenschaftliches Wissen und Praxis verbindet (Disziplin- und fächerübergreifend). Transdisziplinäre Forschung befasst sich nicht mit Fragen, die disziplininternen Diskursen entspringen, oder mit Fragen der Disziplinen, sondern mit übergreifenden Problemstellungen, denn die Probleme der Wirklichkeit kann man nicht mehr nur mit einer Disziplin lösen (zumindest die Finanzen sind immer dabei). Er spricht sich für ein T-Modell im lebenslangen Lernen aus: transdisziplinäre Bildung liegt als horizontale Bildung über der fachlichen Erstausbildung.

4. Jenseits des Elfenbeinturmes
Bologna ist seiner Meinung nach noch nicht zuende, sondern es ist erst der Anfang, jetzt geht es erst richtig los.
Bisher hat sich die Wissenschaft für gesell. Themen, insbesondere der Wirtschaft immer abgeschottet, selbst die Wirtschaftswissenschaften behandeln den Markt nur theoretisch. Was Studierende an Universitäten lernen, ist Klausuren schreiben. Universitäten prüfen allerdings an dieser Stelle Autisten (die in einer Klausur Entscheidungen allein treffen müssen, kein Internet benutzen dürfen, usw)
Derzeit stehen Universitäten auf dem Abstellgleis. SIe müssen sich verwandeln in kundenorientierte Unternehmen. Doch zur Zeit macht man einen entscheidenden Fehler: man
benchmarkt sich mit derzeit erfolgreichen Unternehmen. Das ist allerdings eine Orientierung an «gestern». Was jetzt nicht an der Hochschule ist, wird in 25 Jahren nicht auf dem Markt sein.
Universitäten entwickeln Studiengänge nach interner Ausrichtung. Verdeutlicht hat es Prof. Zimmerli an einem Anglerbeispiel: Der Wurm muss ja den Fischen schmecken, nicht dem Angler.
Was seiner Meinung nach fehlt, ist ein «Placement record», d.h. die Abfrage, was aus den eigenen Studierenden geworden ist. Wie erfolgreich sind die Absolventen einer Hochschule. Zwei Maximen sind für die Hochchule wichtig: customizing und geistiger Widerstand.
Lebenslanges Lernen benötigt nach Zimmerli Blended Learning, da es zunehmend schwierig ist, Lehrende und Lernende an einem Ort zusammen zu bringen. Jedoch ist nicht alles durch E-Learning machbar. E-Learning beziehe sich auf kognitive Sachverhalte, nicht auf Kompetenzen (Geige lernen). Es gibt Unterschiede zwischen Kompetenz und Kognition (Mantelbeispiel: Komplexität von Alltagshandlungen bei kognitiver Beschreibung).
Er schlägt folgendes Modell vor: Distanzphase (Vorbereitungsphase) – Präsenzphase (Seminar) – Distanz (Nachbereitung)
Der Vorteil von Blended Learning liegt in einem zeit- und ortsunabhängigem Lernen, das Weltwissen liegt auf dem Medium selbst zur Verfügung, E-Learning ist Grundlage für selbstbestimmtes Lernen, es ergibt sich eine bessere modulare Abprüfbarkeit (bessere Prüfbarkeit für kogn. Prüfungen). Man wisse genau, wann welcher Lernende welche Lektion bearbeitet habe.

5. Forschungsorientierung der Lehre
Innovationsforschung und Forschungsinnovation beeinflussen sich gegenseitig
o Ohne Innovation keine neue Erkenntnis
o Ohne Erkenntnis keine Innovation
o Ohne Innovation keine neuen Produkte
o Ohne neuen Produkte keine Zukunft des Wissens am Markt

Erforderlich ist dazu allerdings auf Seiten der Hochschule Innovationsmanagement und Intellectual property management. Anders als in der traditionellen Hochschulen wird es in Zukunft eher die Ausnahme als die Regel sein, dass Studierende dieselben Lehrbuchfälle lösen wie ihre Vorgänger → real cases

Von Kognition zur Kompetenz
Kompetenzerwerb kann nur durch Performanz (Learning by doing) geschehen.. Eine Vermittlung von Kompetenz erfolgte bisher aus der Perspektive individueller und kurzfristiger Lernprozesse (Sach und Methodenkompetenz), was fehlt ist die Sozialkompetenz
Folgende Frage stellte Prof. Zimerli am Ende seines Vortrages: „Ist ein Junggeselle (Bachelor) ein Mensch oder ist er erst ein Mensch, wenn er verheiratet ist?“

In der Diskussion stellte sich die Frage nach der Ausbildung von Wissenschaftlern. Die Universität hat auch den Auftrag, Wissenschaftler auszubilden. Es existiert allerdings keine systematische Personalentwicklung, keinen PEP (Persönlichen Entwicklungsplan). Hier liegen noch Defizite, die es zu beheben gilt.

Besonders originell fand ich die Beendigung seines Vortrages: «ich bedanke mit bei denjeningen, den ich was wichtiges erzählt habe, für ihre Aufmerksamkeit und bei den anderen für Ihre Geduld.» 🙂

Mein Fazit der Tagung: Die Beiträge waren qualitativ sehr gemischt. Es hatte ein bis zwei Perlen, aber der Gros der Beiträge hat mich nicht wirklich überzeugt. Ich hatte mir von Lehren und Lernen nach Bologna ein wenig mehr Dynamik und Innovation gewünscht.

Update 13.03.2006: Hier die Folien von Prof. Zimmerli 🙂