Thesen zur Universität der Zukunft

Birger P. Priddat (Präsident der Universität Witten/Herdecke) hat hier zwölf Thesen zur Zukunft von Universitäten aufgestellt, die ich sofort unterschreiben würde, deren Umsetzung in der heutigen Universitätslandschaft mit einem Studiensystem, das primär auf das Sammeln von Credit Points reduziert wird, mir aber im Moment ein wenig Bauchweh macht (Hervorhebung M.S.):

  1. Universitäten sind Ort des längeren Gedankenspiels: die einzigen oft in einer Gesellschaft.
  2. Das wäre eine Qualität als Maß für die Universitätsentwicklung: nicht grösser werden, sondern konzentrierter, fokussierter, gedankenvoll.
  3. Organisatorisch folgt dem dies: Zerfällung aller grossen Universitäten in viele kleine. Jedes Seminar hat sein eigenes Gebäude innerhalb der Stadt, in urbaner Umgebung (niemals wieder out-of-area-universities. Oder abgeschottete campi).
  4. Die Architektur und die Organisation sind mindestens so entscheidend wie die inhaltliche Textur. Universitätsgebäude sollen architektonisch so gestaltet sein, daß man erhabenen Hauptes eintreten und sich in ihnen bewegen kann.
  5. Der Rest ist Qualität: des Denkens. Nicht lehren (im blinden Weitergeben), sondern ins Denken bringen wäre ihre Aufgabe. Der Denkstuhl denkt über die Art und Weise nach, wie er Denken erzeugen kann: als Induktionsphänomen.
  6. Daß man Denken lernt, ist nur ein Teil der Kompetenz, sich gleichzeitig mit anderen, die es ebenfalls lernen, auseinanderzusetzen. Denken, lehrt eine Universität en passant, ist ein modus collectivus, kein geniehafter Autismus. Also Kommunikation.
  7. Daß man zusammen lernt, ist eine Prägung/Investition fürs Leben: ein Netzwerkmodus, wenn er verstanden wird. Universitäten sind sich eröffnende Netzwerke von potentiellen Denkern und Entscheidern.
  8. Nicht dass Wissenschaft betrieben wird, zeichnet eine Universität aus, sondern dass sie das im Kontext von jungen Studenten tut, die jeweils in die Wissensschübe hinein genommen werden. Universitäre Wissenschaft ist Wissenschaft + Attraktion (junger Geister für Wissenschaft bzw. für Freiheit im Denken als Herausforderung).
  9. Wissenschaft kann völlig unabhängig von Universitäten geschehen; aber es ist den Universitäten abträglich, wenn die Kollegen nicht mehr die Studenten wie selbstverständlich in ihr elaboriertes Gespräch einbeziehen.
  10. Universität ist das Gespräch der Wissenschaftler im Gespräch mit den Studenten. Beide Foren interferieren: jedenfalls dann, wenn Universitäten Universitäten sind / oder bleiben.
  11. Alles andere ist das Erlangen von Zertifikaten für beglaubigten sozialen Aufstieg. Universitäten hingegen lehren nicht, sondern lassen die jungen Leute Forscher begleiten: im Denken, im Nach-Denken, im Laborieren, im sonstigen Forschen.
  12. Die Universitäten des 21. Jahrhunderts (des 3. Jahrtausends) kultivieren das, was in Gesellschaften knapp ist: gelassener Geist, lange Gespräche und Freude am Denken. Alles andere folgt daraus. (Quelle: sciencegarden)

Bleibt zu hoffen, dass die Universitäten trotz Bologna-Druck den Mut aufbringen werden, dies auch umsetzen. Bisher sehe ich in einer immer weiter durch“gemanagten“ Universitätslandschaft keinen Streif am Horizont. Vor allem Denkräume und Muse werden rationalisiert und die Studierenden „arbeitsmarktfähig“ gemacht … denkfähig wäre m. E. in vielen Bereichen das erklärte Bildungsziel.

Comments

Ich stimme dir absolut zu. Das Ziel einer Hochschulausbildung ist auch m.E. kritisch und reflektiert denken zu lernen und zu hinterfragen. Das kann in den engen verschulten Stundenplänen der Bachelors nur sehr bedingt stattfinden.
Innerhalb des Systems, sprich in den einzelnen Kursen muss also der Raum geschaffen werden, diese Kompetenzen auszubauen. Es sind hier alle Lehrenden gefragt, in ihren Kursen diese Freiräume zu schaffen und aktiv ein Klima des Hinterfragens und der Reflexivität aufzubauen.

Der Bologna-Lissabon-Kopenhagen-Prozess ist in seiner Wirkung mächtiger als gemeinhin angenommen.An allgemein gültigen Europäischen Qualifikationsrahmen (und deren nationalen Umsetzungen und Ausgestaltungen) geht kein Weg mehr vorbei.
Das trojanische Pferd im wissenschaftlichen Kuppelzirkus zu gestalten ist Aufgabe jedes kritischen Wissenschaftlers/ jeder kritischen Wissenschaftlerin.
Der persönliche Leben ist kurz, die Revolution/ Evolution ist lang; dieser Gedanke ist schwer zu ertragen.

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