E-Portfolios: Stärkung des Prozesses

Letzte Woche hat in Hamburg die Campus Innovation stattgefunden, diesmal mit dem Schwerpunkt E-Portfolios. An zahlreichen Stellen ist schon berichtet worden. Ich konnte leider nicht anwesend sein und habe die Diskussion nur über twitter und die Blogberichterstattung verfolgt. Dabei möchte ich zwei Artikel rausgreifen, die mich zum Denken angeregt haben und gut mit unseren Erfahrungen an der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik zu verknüpft sind: zum einen der Artikel von Gabi und Silvia zum anderen den von Frank. Er schreibt in seinem Weblog:

Was IST also ein Portfolio? Sicherlich nicht das Erscheinungsbild (Gesicht) z.B. Präsentations-, Showcase etc. Portfolio, sicherlich nicht die Technologie wordpress, Mahara oder drupalEd. Sondern? Ehe man hier wieder in eine allgemeine Beschreibung der Methode (sammeln, reflektieren, selektieren, präsentieren) oder auch Taxonomie abdriftet, fände ich es zur Erdung und Klärung der Diskussion gut, wenn wir in Zukunft von „dicht beschrieben Beispielen“ hören können (von der Perspektive wie bei Joachim Robes), die in der Praxis einen darstellbaren Mehrwert erzeugen. Das hätte den Vorteil, dass wir weniger über theoretische „Rahmungen“, Kooperationspartner und Didaktik-Wünschen hören würden (Redundanzen), sondern mehr in die konkreten Erfahrungen und Interaktionen „vor Ort“ eintauchen könnten, die … einen UNTERSCHIED machen! Also Beispiele und diese dann mit der Lupe und in „slow motion“ betrachten. Ich bin der festen Ãœberzeugung, dass genau diese Hinwendung zu Beispielen (Empirie) und damit zu k o n k r e t e n didaktischen Anforderungen in der Domäne x,y,z die theoretische Diskussion stimulieren und die verwendeten Begriffe mit Inhalt füllen würde. Am Ende darf es jedenfalls nicht passieren, dass jemand berechtigter Weise fragt: Was ist ein Portfolio? … und alle im Raum zwar hundert Rahmungen, aber kein Bild im Kopf haben. (Frank Vohle, E-Portfolio … der wunde Punkt)

Nun es sicherlich fraglich, ob die Praxis diese Aufgabe überhaupt leisten kann oder ob man hier nicht ein nebeneinander von Theorie und Praxis benötigt. Für mich ist jedoch die Grundfrage, die Frage nach dem Wesen des Portfolios eine zentrale. Dies ist aber aus unserer bisherigen Erfahrung nicht so einfach. Aber zuerst eine kurze Erklärung unseres Hintergrunds:

Eines unserer hochschuldidaktischen Weiterbildungsprogramme wird mit der Erstellung eines Lehrportfolio abgeschlossen. Haben die Dozierenden dies bisher immer als dicken Ordner angelegt, haben wir nun dieses Jahr die ersten Erfahrungen mit E-Portfolios gemacht … und es hat uns an vielen Stellen zum Denken gegeben, unter anderem auch die Frage, was das Portfolio denn nun genau ist (bis hin zur Frage, wie sich eine «Bewertung» mit der elektronischen Variante verändert).

Wir haben gemerkt, dass der Begriff des Portfolios, vor allem für die elektronische Variante, nicht sehr passend ist, suggeriert er doch eine irgendwie geartete Mappe. Doch um die Mappe geht es aus unserer Erfahrung nur sehr sekundär, vor allem, wenn man am Schluss im virtuellen Raum gar keine Mappe mehr hat. Das eigentlich wichtige ist der Prozess des Sammelns und Reflektierens – und es ist eigentlich egal, ob am Schluss ein Showcase-, Bewertungs- oder was auch immer für ein Portfolio generiert wird. Hier finde ich die Software-Ãœberlegung im Hintergrund noch eine einsichtige Parallele: Man kann (z.B. mit Mahara) aus seinen bisher gesammelten Artefakten dann unterschiedliche Ansichten generieren … und genau darauf kommt es meiner Meinung nach an. Wir sollten den Blick ein Stück weit weg vom Produkt hin auf den Prozess lenken. Dies ist natürlich schwierig, da der Prozess a) etwas kontinuierliches ist, der nicht auf ein Seminar oder eine Lehrveranstaltung begrenzt ist und b) wenig sichtbar ist. Aber genau hier liegen aus unseren Erfahrungen die Potenziale – zumindest für unseren Bereich der Teaching-ePortfolios.

Betrachtet man Portfolios als Prozess (sicherlich keine neue Forderung), dann stellt sich die Anforderungen, diesen Prozess sozusagen zum Alltag werden zu lassen und in unserem Fall Dozierende schon von Anfang an mit dem Prozess vertraut zu machen, so dass es zu einem Sammeln und Reflektieren über die gesamte Zeit kommt (und nicht auf ein Seminar oder ähnliches beschränkt bleibt). Und hier kommen die Probleme ins Spiel, die Gabi in ihrem Artikel angerissen hat: over-scripting, over-action and over-reflection. Hier erscheint uns die einzige Möglichkeit, die Autonomie der Dozierenden zu stärken: es ist (zumindest uns) egal, wann sie was wie mit welcher Absicht sammeln. Wir schreiben Ihnen ja auch nicht vor, welche Gedanken uns Textstellen sie wie für ihre Forschung dokumentieren und reflektieren. Diese Analogie zur Forschung, allerdings unter einer anderen Konnotation wie Gabi sie verwendet, war in unserer bisherigen Arbeit hilfreich.

Wie und wo Forschende ihre Gedanken ordnen, ob sie einen Zettelkasten oder citavi oder sonst ein Produkt nutzen. Jedoch ist beim Forschen diese Denkleistung und die Hintergrundarbeit (zumindest für die Geistes- und Sozialwissenschaften) eine Hauptaufgabe, in die man früh schon sozialisiert wird. Ob dieses Gedankenkonstrukt dann als Artikel oder Präsentation veröffentlicht wird, ist erst einmal (zumindest auf den Prozess gesehen) nebensächlich. Ich bin mir im Klaren, dass dieser Vergleich an einigen Stellen hinkt, aber für uns macht er nochmals deutlich, an welchen Stellen gerade im Lehrbereich bisher Unterschiede gemacht werden.

Dieses Bild ist natürlich nur in unserem sehr eingeschränkter Blick auf E-Portfolios brauchbar: bei uns geht es nicht im klassischen Sinne um Assessment von Leistungen (wie im Artikel von Gabi), sondern um die Unterstützung der Dozierenden in Lehr-Lernfragen und die Reflexion über Lehre. Insofern sind auch andere „Ziele“ mit dem Prozess verbunden. Dennoch ist für mich auch die Frage, ob man das Assessment nicht ein wenig mehr in die Eigenverantwortung der Studierenden legen könnte (analog zu den eigentlich 1970 formulierten und heute immer noch revolutionär anmutenden Vorschläge der Bundesassistentenkonferenz).

Ich bin mir klar, dass ich mit diesem Beitrag eventuell auch mehr Fragen generiert als beantwortet habe, aber es ist für uns in diesem Projekt auch noch vieles offen, es bleibt also weiter spannend 🙂

Comments

Liebe Mandy! Ich stimme dir in allem was du sagst zu :-), vor allem, dass die Prozesse (und wie man diese unterstützen kann) entscheident sind. Was aber meinst du gleich zu Anfang mit: „Nun es sicherlich fraglich, ob die Praxis diese Aufgabe überhaupt leisten kann oder ob man hier nicht ein nebeneinander von Theorie und Praxis benötigt.“ Wer oder was ist bei dir Praxis, was Theorie? Was genau kann nicht vom wem geleistet werden? Bei mir waren es die einfach klingenden Beispiele. Z.B. wäre ich sehr daran interessiert wie IHR in EUEREM KONTEXT, mit welchen (didaktischen) Zielen, welche Methoden (Technologie, Instruktionsmaßnahmen, begleitende Maßnahmen etc.) einsetzt und wie dieses Gesamtdesign bei den Lernenden ankommt bzw. von den Lernenden zur Steuerung ihrer Lernprozesse aufgegriffen wird. Mir geht es doch „nur“ darum, das „Schattengewächs“ Beispiel nach vorne zu rücken, mehr auf die Bühne zu ziehen, d.h generell und primär geht es mir um die TEXTE (Was passiert da?), erst sekundär um KONTEXTE (Wer oder was ist vermittelt daran beteiligt). Und da wird es bei den flüchtigen Prozessen besonders spannend. Grüße dich! Frank

Lieber Frank
Danke für deinen Kommentar. Was ich meine, ist folgendes: ich finde nicht, dass die Praxis eine Definition eines Phänomens leisten kann (was ich als eher Theorie bezeichne). Ich stimme dir zu, dass es bisher vor allem an Beispielen mangelt, aber ich denke nicht, dass man allein aus Beispielen und Kontexten Definitionen generieren kann. Ich denke, in einem zweiten Schritt müssen dann diese Beispiele und Kontexte wieder systematisiert werden. Wie wäre es denn, die Beispiele irgendwo schon systematisch zu sammeln? Ich mache mir mal Gedanken, wie man das darstellen kann.

Liebe Grüsse
Mandy

Liebe Mandy, ok jetzt verstehe was du mit Praxis und Theorie meinst (ich selber stehe mit diesen Begriffspaar auf Kriegsfuß 😉 … Ich wollte mit meiner Bemerkung nicht sagen, dass Definitionen oder Taxonomien unsinnig sind, logo, mir ist aber wichtig und zwar aus theoretischer Perspektive, dass wir mehr Beispiele bringen und diese genau(er) beschreiben. Ich meine gerade in der dichten Beschreibung von Beispielen können die von dir geforderten Prozesse besser sichtbar werden und genau diese sind ja Grundlage für spezifische und verallgemeinerte Konzepte. Die von dir angesprochenen Systematisierungen bergen immer die Gefahr, dass sie Kategorien vorgeben und damit die Weiterentwicklung, d.h. innovative Brüche auch verhindern können. Aber Systematisierung und Beispiel schließen sich ja nicht aus, nur darf Wissenschaft nicht in eine Richtung „kippen“.

Liebe Grüße Frank

Comments are closed.